Fit For Fire Fighting mit Laufschuhen

Ein Selfie gehört inzwischen zu jedem Lauf dazu.

Ein Selfie gehört inzwischen zu jedem Lauf dazu.

Früher war alles anders und besser. Überhaupt, es geht nichts über das analoge Zeitalter, als der geneigte Läufer hemmungslos am Stammtisch mit seinen Bestzeiten prahlen konnte. Usain Bolt, Carl Lewis und Maurice Greene? Kindergarten, die taugen nur für langsames Warm-up! Ach, war das schön, wie einem alle den Lippen hingen und den persönlichen Laufrekorden staunend folgten. Obendrein gab’s ein Bier spendiert oder zwei oder drei. Und jetzt? Nun existieren soziale Sportnetzwerke und alle erspähen, dass, … eben ja …, ein wenig Übertreibung im Spiel war. Aber nur ein klitzekleines bisschen Übertreibung, nur ein winziges Stücklein. Jetzt heißt es Rackern, Schwitzen und Leiden, denn der Läufer mutiert zum gläsernen Athleten, dessen Pulswerte, Strecken und Pace von Garmin und Polar, von GPS und Galileo, von Strava und Runtastic für alle weltweit sichtbar, nachverfolgbar und angreifbar sind. Lügen ist ein hartes Wort, Übertreiben ist nicht mehr! Was wir nicht auf Strava & Co. mit anderen teilen, existiert nicht. Und zu trinken, gibt’s alkoholfrei. Please give Kudos!

Sobald ich von euch Kudos bekomme, erzähle ich weiter. … Ich warte! … Ich warte immer noch!

Plan und Wirklichkeit

Ich gebe zu, ich nutze Strava seit über einem Jahr. Meine Intention war, andere Läufer in meiner Leistungsklasse zu finden, interessante Laufstrecken zu identifizieren und Unterstützung für das Training zu erhalten. Das Ergebnis dieses Strebens lässt sich mit dem Wort überschaubar am treffendsten beschreiben. Unterstützung fand ich erst, als ich einem örtlichen Turnverein beitrat, geeignete Laufstrecken entdecke oder plane ich selbst und Läufer meiner Leistungsklasse, mit denen ich außerhalb des Lauftreffs unterwegs sein kann, fand ich noch nicht. Ebenfalls das Verwalten der Daten ist für mich sekundär, da ich eine Liste in Excel mit individuellen Funktionen und Formeln pflege.

Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass Strava für etwas anderes gut ist: den Vergleich mit anderen. Diesmal nicht am Stammtisch, sondern knallhart und nüchtern als Statistik auf dem Display. Leistungen sind vergleichbar. Ich sehe, wo ich im Vergleich zu anderen Läufern liege und wie lange sie auf der gleichen Strecke liefen. Ich muss nicht mehr zeitgleich gegen andere rennen, ich renne zeitversetzt und mein Gegner sieht das Ergebnis sofort, gibt mir Kudos und rennt los, um sich die CR (Krone für den Streckenrekord) zurückzuholen.

Soziales Druckmittel Sport zu treiben

Als Motivation, sich zu bewegen, kann sowohl die Herausforderung als auch der Vergleich mit anderen helfen. In der Gruppe Sport zu machen, war ohnehin immer die beste Motivation. In der modernen Gesellschaft ist das bedingt durch flexible Arbeitszeiten nicht mehr immer möglich, sodass die sozialen Sportnetzwerke hier einspringen und zumindest virtuell die Gruppendynamik herstellen. Das wechselseitige Austauschen und Motivieren wirkt wie Druckmittel, um das eigene Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Der soziale Druck sorgt dafür, dass ich meine sportlichen Aktivitäten aufrechterhalte und sogar intensiviere. Und, ich bin nicht mehr auf meinen Freundeskreis beschränkt. Die Community erweitert diesen. Die Fachwelt spricht von hybriden Gemeinschaften, eine Gemeinschaft des egalitären Austauschs von Daten mit Personen, die sowohl real wie nur virtuell bekannt sind.

Um mein eigenes Training zu verbessern, kann ich ferner die Trainingseinheiten anderer analysieren. Einem virtuellen Club beizutreten, vergrößert den Kreis derjenigen, mit denen ich mich messen kann. Strava bietet darüber hinaus verschiedene Challenges an: „Running Distance Challenge“, „Herausforderung am Berg“, „10K“, „Half Marathon“, um die Herausforderungen zu nennen, die ich jeden Monat absolviere. Automatisch erkennt Strava Segmente auf meiner Strecke und teilt mir mit, wie schnell andere auf diesem Teilstück waren. Die Bestenliste ist schließlich dazu da, oben zu stehen. Der andere war schneller, folglich versuche ich, ihn wieder einzuholen. Das ist Motivation pur! Please give Kudos!

Sport wird zum Dauerwettkampf

Höher, weiter, schneller, das Lauftraining degeneriert zum Dauerwettkampf. Wir geben uns nicht mehr mit dem zufrieden, was wir erreicht haben, sondern messen uns dank der allgegenwärtigen Vernetzung unmittelbar mit anderen Sportlern – Hobbyathlet oder Profi ist nebensächlich. Unser Trainingsergebnis erfährt damit eine Relativierung, egal wie gut das persönliche Ergebnis war. Zu Beginn mag das noch motivieren, bloß irgendwann stehen nur das Kudos, die CR-Kronen und virtuellen Medaillen im Vordergrund. Der Sport ist Nebensache, allein die Fortschritte (Level) innerhalb der App und das externe Belohnen stehen im Fokus. Mit Spaß am Sport hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil. Sich gegenseitig zu übertrumpfen und extremes Konkurrenzverhalten ersetzen den Spaß durchs Gewinnen beim Sozialvergleich.

Ein Blick in ein beliebiges Forum und ich frage mich, ob die Leute – und ich meine Hobbyathleten – noch ein anderes Leben oder einen an der Waffel haben. Auf Dauer macht das Streben nach Leistung einsam. Wer Sport bloß im Sinne des sozialen Aufwertens begreift, kann einem leidtun. Da macht dann irgendwann das gemeinsame Laufen keinen Spaß mehr, wenn der Gegenüber permanent das Feld zu behaupten versucht. Und das führt mich zu den Challenges. Als Anreiz, sich zu bewegen, mögen die Challenges von Nutzen sein, schaue ich mir die Bestenlisten zu den jeweiligen Herausforderungen, beschleicht mich der Verdacht, dass so mancher Läufer auf Biegen und Brechen der virtuelle Gewinner sein will.

Selbstdarstellung und Narzissmus

Gefangen in der narzisstischen Selbstoptimierungs- und Erfolgsgesellschaft, gefährden wir unsere eigene Gesundheit. Wir überschreiten die eigene Leistungsfähigkeit, ignorieren Warnsignale unseres Körpers, allein um der Community zu zeigen, wie toll wir sind. Sogar im Spitzensport trainieren die Athleten nicht permanent an der Grenzbelastung. Please give Kudos!

Nun, wer auf der Jagd nach den Bestzeiten die eigene Person gefährdet, ist selbst schuld. Allerdings sollten wir Fitness-Selbstdarsteller andere in unserem narzisstischen Bedürfnis ein griechischer Halbgott zu werden, nicht in Gefahr bringen. Genau das passiert, wenn wir rücksichtslos auf den Segmenten heizen, während wir permanent auf den Fitnesstracker starren.

Leistung, Fitsein und Körperästhetik ist unser neues, zugleich pathologisches Lebensgefühl. Überambitionen und falscher Ehrgeiz, der Wunsch auf dem Treppchen zu einer anonymen Tabelle zu stehen, ist groß. Offenbar akzeptiert unsere Gesellschaft bloß Gewinnertypen und das bereits bei den ganz Kleinen, auf die sich der Ehrgeiz der Eltern überträgt.

Quantify yourself adieu

Irgendwann kommen die Ernüchterung und der Frust, denn das Verbessern und der Fortschritt wollen sich nicht mehr einstellen. Irgendwann spinnt die Technik und ich kann mich nicht mehr (mit anderen) messen. Quantify yourself adieu. App und Fitnessuhr ersetzen niemals den physischen Coach vollständig und der individuelle Trainingsplan ist besser, als das nach einem griechischen Gott benannte Fitnessprogramm. Auch wenn es bisweilen so scheint (wer mir auf Twitter und Instagram folgt, weiß, wovon ich rede), ich gab die Jagd nach CRs und KOMs etc. auf, weil mir das Einhalten meines Marathontrainingsplans und das Erzielen niedriger Pulswerte wichtiger sind, als das Kudos und die CRsin den sozialen Netzwerken.

Vielleicht ist es eine Challenge, einmal ohne Pulsuhr, ohne GPS oder andere Technik zu laufen. Einfach spontan auf die Strecke zu gehen, die Natur zu genießen, zwischendurch einmal innezuhalten, Luft zu holen und sich am Laufen erfreuen. Please give Kudos!

Über diese Serie

Die Kolumne „Projekt 42“ sollte eigentlich über meine Fortschritte auf dem Weg zum Marathon berichten. Nun kommt es immer anders, wie man denkt. Indirekt beschäftigen sich die Texte mit meiner Vorbereitung. Inhaltlich greife ich Themen auf, die mit dem Training zu tun haben oder die mich beschäftigen. Ich führe damit die Serien „Projekt Halbmarathon“ (2016) und „Alarmcode 6920“ (2017) weiter, die sich inhaltlich stärker an meinem Training orientierten. Ursprünglich war ein monatliches Update von „Projekt 42“ geplant, bisher sind drei Artikel erschienen: