Fit For Fire Fighting mit Laufschuhen
Das in freier Natur anzutreffende Läufer ist eigentlich ein arttypisch einzelgängerisches Exemplar, das gelegentlich in Gruppen auftritt, dann aber häufig zu dominantem Verhalten neigt und schneller als alle anderen sein will. Zu unterschieden sind mehrere Gattungen, grob gesagt zwischen dem nachtaktiven, tagaktiven und dem morgenaktiven Laufschuhträger. Letzteres Exemplar richtet seine Aktivitäten meist nach den zu erwartenden Tagestemperaturen in den warmen Monaten des Jahres. Dabei lässt es sich freiwillig von einem kreischenden Weckgerät aus seinen seligen Läuferträumen reißen, um seinen natürlichen Drang nach Sport auszuleben.
Das Läufer genießt die frühmorgendliche Ruhe: wenig Autos, keine laute Musik, keine brüllenden Menschen; hört den zwitschernden Vögeln zu und stellt sich vor, selbst fliegen zu können; nimmt das Rauschen der Blätter im Wind und die frische Luft in die Lungen auf; saugt das beruhigende Plätschern des Rheins bzw. die sich am Ufer brechenden Wellen des Bodensees auf; und stellt sich die Frage, ob ein morgendliches Freiwasserbad eine entspannende Maßnahme wäre. Überhaupt, Entspannung ist eines der wichtigsten Nebenprodukte, die das Läufer am Morgen erfährt. Zusammen mit dem Erleben eines wunderschönen Sonnenaufgangs vertreibt das die das Läufer auf den ersten Kilometern begleitende Müdigkeit.
Nun wird das Läufer in seinem mehrere Quadratkilometer umfassenden Läuferraum mit Erscheinungen konfrontiert, die sich nicht mit Puls, Pace und Puste bereinigen lassen. Der natürliche Fluchtinstinkt – einfach immer weiter laufen, niemals anhalten –, wird bisweilen gehemmt. Denn wer nun denkt, das Läufer hätte um diese schlaftrunkene Zeit die Welt alleine für sich, der irrt!
Dem Läufer verwandte, weniger sportliche Gattungen leben ihre zivilisatorisch habitualisierten Allüren offen aus und entwickeln sich zunehmend zum natürlichen Feind des dauerlaufenden Zweibeiners.
Zerbrochene Flaschen, gleichmäßig verteilte Scherben, zerstückelte Plastikbecher lassen sich das Läufer fragen, ob ein Umschulen zum Fakir nicht angebrachter wäre. Der Schutz durch spezielle Kunststofffasern an den Füßen, die das Läufer für seine Jagdrunde nach Pace-Rekorden anzieht, bieten keinen universellen Schutz gegen das Penetrieren durch amorphe Feststoffe. Insbesondere wenn das Läufer stolpert, z. B. weil es noch müde ist und seine Laufbewegungen noch nicht unter Kontrolle hat, werden die siliciumdioxidhaltigen Fremdkörper zur lebensbedrohlichen Gefahr.
Zwar verströmt das Läufer selbst nicht gerade einen Wohlgeruch, im Gegenteil die Mischung aus Lycra und Schweiß produziert bei manchen verwandten Gattungen eine Abstoßungsreaktion. Allerdings fühlt sich das Läufer während seiner morgendlichen Aktivität durch Überreste des öffentlichen Zubereitens von essbarem Muskelgewebe von Tieren belästigt. Das gemeinschaftliche Braten unter Nutzung von Wärmestrahlung hinterlässt neben üblen Gerüchen nach verbrannter Nahrung oft nicht sachgerecht gelöschte Feuerstellen, die weiter vor sich hin glimmen und die für das Läufer lebenswichtige frische Luft verunreinigen. Zusätzlich säumt nicht benutztes und vor sich hin verrottendes Grillgut für einen nicht minder gut riechenden Morgenduft. Von den aufgerissenen Verpackungen ganz zu schweigen. Der zivilisatorische Müll gehört fast dazu, und das Läufer muss da durch – im wahrsten Sinne des Wortes. Evolutionär bedingte Anpassungen sind bereits beobachtbar.
Bisweilen trifft das Läufer auf Hilfsmittel, nahestehender, sich mit mechanischer Kraft fortbewegender Gattungen, allerdings ohne das dazugehörende Biker. Verwundert frägt sich das Läufer, wie das Biker sein notwendiges Mittel zur Fortbewegung mitten auf dem planierten Fortbewegungspfad platzieren kann. Aus Sorge untersucht und beobachtet das Läufer das nähere Umfeld nach einem möglicherweise auf Hilfe wartenden Biker.
Solange das Läufer mit nicht lebenden Inbegriffen der modernen Zivilisation konfrontiert ist, hat es effektive Vermeidungsstrategien entwickelt. Allerdings lässt sich das Aufeinandertreffen mit atmenden Existenzen nicht vermeiden. Zu unterscheiden sind hier zwei- und vierbeinige Wesen, deren Verhalten gegenüber dem Läufer unterschiedlich ist.
Bei den vierbeinigen Kreaturen ist zu unterscheiden zwischen domestizierten und nicht-domestizierten Organismen. Letztere Gattung stellen in aller Regel keine Gefahr für das Läufer da, da diese ebenso über einen natürlichen Fluchtinstinkt verfügen und sich maximal aus Neugier gegenüber das Läufer nicht unmittelbar verstecken. Das Läufer markiert in seltenen Fällen seinen wegerechtlichen Vorrang in derartigen Situationen durch lautes Schnaufen und heftiges Stampfen auf den Boden.
Domestizierte Wesen sind nicht gleichzusetzen mit domestiziert, denn so manches zweibeinige Geschöpf ist mit seinem vierbeinigen Begleiter arg überfordert. Insbesondere freilaufende und sich durch wiederholt kurze, kräftige Laute von sich gebende Vierbeiner stellen ein ständiges Ärgernis und ernst zu nehmende Verletzungsgefahr für das Läufer da. Gelegentlich ignoriert das Läufer die Gefahr und geht des Weges, mitunter dreht sich das Läufer um und weist den Vierbeiner begleitenden Zweibeiner lautstark auf dessen Fehlveralten hin. Häufiger kommt es zu verbalen, eher selten zu physischen Entgleisungen, die den Einsatz einer staatlichen Zwangsgewalt für öffentliche Sicherheit und Ordnung zur Folge hat.
Überhaupt stellen verbal um Aufmerksamkeit suchende Zweibeiner ein das morgendliche Ritual des Läufers störende Interruption dar, die nur durch Zuhilfenahme einer Applikation zur wellenbasierten Kommunikation lösbar erscheint. Seinem Fluchtinstinkt kann das Läufer aufgrund örtlicher Gegebenheiten oft nicht mehr nachkommen. Oft reicht deshalb das Zücken und Eintippen der Hotline besagter institutionalisierter Zwangsgewalt, um die Situation zu befrieden.
Das Läufer begegnet auf seinem morgendlichen Rundgang der Gattung des scheuen und flinken Flaschensammlers ebenso, wie dem unauffälligen, sich durch rhythmischen Gesang auf den Tag vorbereitenden Sonnenanbeters. Ab und zu entsteigt dem Wasser ein frierendes Etwas, das von seiner Begleitung mit aufmunterndem Gelächter bedacht wird. Diese Mutproben oder Wetteinsätze ausführende Gattung ist eine Zweiglinie des die Nacht zum Tag machenden, Vergnügung durch Konsum mit Ethanol versetzter Substanzen suchender Zweibeiner. Insbesondere wenn das Läufer auf den ersten Kilometern am Morgen noch damit beschäftigt ist, die Müdigkeit aus den Beinen zu schütteln, führt das provokant-anfeuernde Anquatschen durch diese Gattung zu einem mürrischen Entgegnen des Läufers.
Hellwach wird das Läufer dagegen, wenn es auf dem Boden liegende Zweibeiner vorfindet. Vorsichtig nähert sich dann das Läufer und überprüft mittels Disco-Schema, ob der Einsatz der kraftfahrzeuggebundenen Gattung der Hilfeleistung erforderlich ist. Glücklicherweise stellt sich oft heraus, dass es sich hier um Erholung suchende Angehörige des Ethanol konsumierenden Zweibeiners handelt.
Meist gegen Ende der morgendlichen Aktivität, wenn die Sonne höher steht, begegnet das Läufer anderen Exemplaren der eigenen Gattung. Obwohl grundsätzlich bekannt, fällt es schwer sich zu erkennen, weil der Schlafsand in den Augen das Sichtfeld noch immer trübt. Da das Läufer sich evolutionär weiterentwickelt hat und nun seine Zeiten der Bewegung digital erfasst, identifizieren sich die Angehörigen der Gattung des Läufers später am Bildschirm, dann, wenn das Läufer sich der Metamorphose zum Büroarbeiter unterzogen hat.