Rezension von Bernhard Horsts Industriebrandbekämpfung

Brände im industriellen Umfeld stellen für die Einsatzkräfte vor Ort eine besondere Herausforderung dar. In jedem Industriebetrieb – unabhängig von der Branche – finden sich Besonderheiten, die im Schadensfall von Beginn an beachtet werden müssen. Grundlegende Informationen rund um das industrielle Umfeld sind für den Einsatzerfolg von wesentlicher Bedeutung, da sich diese Einsätze vom Standard-Zimmerbrand unterscheiden. 2021 erschien das Buch „Industriebrandbekämpfung“ in der Reihe „Technik – Taktik – Einsatz“ im ecomed Verlag. Der Titel lässt vermuten, dass mit der Publikation eine wichtige Lücke in der Wissensvermittlung für die öffentlichen Feuerwehren geschlossen wird.

Grundlegendes

Brände in Industrieanlagen unterscheiden sich vor allem durch die Dimension und die Intensität. Förderströme, Brandausbreitungen sowie eine Vielzahl an möglichen Kaskadeneffekten stellen die Einsatzkräfte vor große Herausforderungen. Je nach Branche ändern sich wesentliche Rahmenbedingungen innerhalb der Industrieanlage. Die eine Blaupause für Schadensfälle gibt es nicht und jede der unterschiedlichen industriellen Anwendungen füllt ein eigenes Buch.

Einsätze im industriellen Umfeld

Der Schwerpunkt der Ereignisse im industriellen Umfeld sind Explosionen (46%!). Feststoffbrände spielen eine ungeordnete Rolle, dafür sind Gase und Flüssigkeiten stärker involviert. Gerade dieser Umstand macht sehr deutlich, wie wichtig die laufende Informationsbeschaffung (Messtechnik, Sinneswahrnehmung) für den Einsatzerfolg ist. Wenngleich die Erkundung durch den Einsatzleiter bei jedem Einsatz einer Feuerwehr für den Einsatzerfolg von grundlegender Bedeutung ist, muss dieser im industriellen Umfeld eine besondere und vor allem intensivere Rolle zugeordnet werden.

In einem Crashkurs werden einige Highlights aus der Industrie erklärt. Dadurch erhalten die Lesenden einen guten Überblick über die grundlegenden Unterschiede zum Standardeinsatzgeschehen. Der Buchautor gibt einen Überblick über automatisierte Prozesse, Energie- und Strahlungsquellen und den Herausforderungen hinsichtlich der Orientierung auf einem solchen Gelände.

Die Einsatzoptionen und ein Ausflug in die Taktik

Viele Möglichkeiten bedeuten nicht zwangsläufig einen schnellen und effektiven Einsatzerfolg. Die Einsatzleitung hat aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die geeignetste zu identifizieren und umzusetzen.

Viele der hier beschriebenen Einsatzoptionen sind für Feuerwehrangehörige auf den ersten Blick unlogisch, da diese sich nur im Bereich der Industrie wieder finden. Das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Löschmethoden und verschiedenster Optionen wird on-point dargestellt.

Der Einsatz vom herkömmlichen Wasserwerfer bis hin zu (einfachen) Möglichkeiten der Erhöhung der Wurfweiten von Strahl- und Wenderohren gibt den Lesenden einen Einblick in die möglichen Löschtechniken. Dabei greift der Autor immer wieder auf die grundlegenden physikalischen Gesetze zurück und ruft den der Begriff des Löschens in Erinnerung.

Aufbauend auf die allgemeine Ausbildung der öffentlichen Feuerwehren geht der Autor gut und wissenschaftlich fundiert an das umfassende Thema des Schaumeinsatzes heran. Aufgrund der Bestandteile des Löschschaums ist dieser Teil ein grundlegendes Kapitel für den Rest des Buches.

Gerade für die Erstphase – die Chaosphase – gibt der Autor wertvolle Tipps zur Gefahrenerkennung, Aufstellung und Angriffsplanung.

Die besonderen Gegebenheiten in Kombination mit den technischen Anlagen ergeben für die Einsatzkräfte besondere Einsatzlagen. Diese werden vom „simplen“ Brand von Flüssiggas bis hin zu Tankbränden und deren wissenschaftlichen Definitionen erklärt.

Keine Brandbekämpfung ohne Löschmittel. In diesem Kapitel werden die unterschiedlichsten Löschmittel und deren Effekte genauso so behandelt wie das umfangreiche und immer wichtiger werdende Thema der Löschmittelrückhaltung.

Zum Abschluss des Buches werden einige spezielle Einsatzmittel aus dem (internationalen) Sektor der Industriebrandbekämpfung und deren Wirkungsweise vorgestellt. Das Kapitel bietet eine gute Übersicht über die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten der Sondergeräte.

Ein weiterer Baustein im Feuerwehralltag

Im Feuerwehralltag gibt es viel mehr als den klassischen kritischen Wohnungsbrand. Dass dieses Szenario der Standard in unseren Feuerwehren sein sollte, versteht sich von selbst.

In den letzten Jahren kamen immer mehr „Sonderthemen“ zum Vorschein. Zumindest wirkt es für das Standardfeuerwehrmitglied so. Wir haben gerade einmal verstanden, dass Einsätze im Bereich der Wald- und Vegetationsbrandbekämpfung völlig anders zu behandeln sind.

Der Bereich der Industriebrandbekämpfung war mir persönlich immer zu unterrepräsentiert. Dieses Buch schließt für mich eine wichtige Lücke, obwohl Störfallbetriebe zumeist über innerbetriebliche Einsatzkräfte verfügen. Dennoch kommen öffentliche Feuerwehren immer wieder zu Bränden im industriellen Umfeld. Der Autor versucht damit eine wichtige Lücke in der Literatur zu schließen und zeigt, dass Industriebrandbekämpfung an sich keine Raketenwissenschaft ist.

Der wissenschaftliche Background des Autors spiegelt sich durchgängig bei allen Themen wieder und zeigt, dass Feuerwehr mehr als Schlauch verlegen und Wasser marsch ist. Dem fachlichen Background ist es sicherlich geschuldet, dass einige Kapitel mehr als einen Überblick darstellen.

Einige Grafiken sind – offenbar aus inhaltlichen Gründen – nicht direkt beim Text. Ich verstehe den Aufbau und kenne diese Darstellung aus anderen wissenschaftlichen Arbeiten. In einem Feuerwehrhandbuch möchte ich die Grafiken direkt zum Text haben.

Dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre für alle Feuerwehrführungskräfte sein, die eine Industrie- bzw. auch Gewerbeanlage im unmittelbaren Einsatzbereich zu betreuen hat. Der Überblick ist gut und zeigt die wichtigen Unterschiede zum herkömmlichen Feuerwehreinsatz auf. Beginnend von den ausgehenden Gefahren über die Herausforderungen bei der Orientierung und der Logistik werden alle wichtigen Themen behandelt.

Absoluter Mehrwert ist der Anhang: Umfassende Tabellen von Heizwerten, Abbrandraten oder Mindestmengen an Löschgasen bieten neben dem Glossar ein umfassendes Nachschlagewerk.

Abschließen möchte ich mit einer treffenden Aussage aus dem Vorwort. Wissen (ein Buch lesen) und Qualifikation (Lehrgänge) sind keine Kompetenzen, sie sind die Voraussetzung für den Kompetenzaufbau.

Bibliografische Angaben

Bernhard Horst: Industriebrandbekämpfung. Aus Der Reihe: Technik – Taktik – Einsatz. Landsberg am Lech: ecomed 2021. 208 Seiten, Softcover, 17,0 x 24,0 cm, ISBN 978-3-609-77543-2, EUR 39,99.- (Link zum Buch)

Über den Autor

Mike Meier, der Autor der Rezension ist seit mehr als zehn Jahren im industriellen Umfeld im Bereich der thermischen Abfallbehandlung sowie der elektrischen Energieerzeugung tätig und bringt dementsprechend Vorwissen zu der behandelten Thematik mit.