Glas ist ein amorpher Feststoff, sprechen wir von Glas, meinen wir das lichtdurchlĂ€ssige Objekt in Form von aus Siliziumdioxid bestehenden Trink- oder FensterglĂ€sern. Speziell im Sommer steigt die Glasscherbe zu mehrfacher, trauriger BerĂŒhmtheit auf. Im Kontext von FreizeitaktivitĂ€ten fĂŒhrt sie zur Zunahme von Verletzungen, zum Beispiel durch Schnitte, sie avanciert eben auch zum Feind des abwehrenden Brandschutzes schlechthin. Glaubt ihr nicht?
Hier eine kleine Presseschau:
- Halterner Zeitung vom 06.08.2020: Feuerwehrchef warnt: âJede Glasscherbe kann einen Waldbrand auslösenâ (externer Link)
- Frankfurter Rundschau vom 10.08.2020: âDer Wald ist brottrocken, da reicht ein Funke oder eine Glasscherbeâ (externer Link)
- AK-Kurier vom 08.08.2020: âAuch Glasscherben können sich entzĂŒnden.â (externer Link)
- Badische Zeitung vom 31.07.2020 âWaldbrandgefahr geht auch von liegen gelassenen Flaschen und Glasscherben ausâ (externer Link)
Auch offizielle Quellen schreiben von der BrÀnde verursachenden Glasscherbe:
- Hessisches Ministerium des Innern und fĂŒr Sport (externer Link)
- Ministerium fĂŒr LĂ€ndlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-WĂŒrttemberg (externer Link)
- Feuerwehr Frankfurt (externer Link)
- Feuerwehr Hamburg (externer Link)
Gerade im Sommer nimmt die VermĂŒllung mit Glasscherben im öffentlichen Raum zu. Ein Spaziergang am Sonntagmorgen an den einschlĂ€gigen âPartyzonenâ beweist das. Weshalb bloĂ, brennt es nicht stĂ€ndig und ĂŒberall dort, wo Glasscherben liegen?
Glasscherben verursachen selbst unter optimalen Bedingungen keine BrĂ€nde. Das fand eine Diplomarbeit an der TU Braunschweig 2007 (externes PDF) heraus und auch der Deutschen Wetterdienst bestĂ€tigt diese Ansicht (externer Link). DrĂŒben bei pvsafety erschien schon 2017 ein Artikel, der diese Sache kurz und knapp zusammenfasst (externer Link). Gut, nun lĂ€sst sich argumentieren, dass Diplomarbeiten falsch sein können, der Deutsche Wetterdienst keine seriöse Quelle darstelle und Weblogs nicht an journalistische QualitĂ€tsprodukte heranreichen.
Aber lassen wir das KopfschĂŒtteln ĂŒber die ansonsten um wissenschaftliche Korrektheit bemĂŒhten Helfer im abwehrenden Brandschutz. Warum bemĂŒhen u. a. die Feuerwehren der Mythos Glasscherbe jedes Jahr aufs Neue als Brandursache?
Schlichtes und unreflektiertes Copy & Paste könnte ursĂ€chlich sein oder das in der Feuerwehr stark verbreitete Unvermögen, sich intellektuell âder Moderneâ zu öffnen: Das Verhaftetsein im Traditionellen, das in die Kategorie Ă la âdas haben wir immer schon so gemachtâ bzw. âdas war schon immer soâ fĂ€llt.
Nicht unwahrscheinlich ist auch schlichtes Unwissen, weil man sich mit dem Thema nicht beschĂ€ftigt hat (oder durfte). Allerdings erwarte ich von FĂŒhrungskrĂ€ften, die in der Presse zitiert werden, dass sie ĂŒber das Thema, ĂŒber das sie sprechen, auch in wissenschaftlicher Hinsicht im Bilde sind. Und kommt mir keiner mit dem Thema keine Zeit im Ehrenamt: wer FĂŒhrungskraft kann, muss diese Zeit aufbringen.
Plausibel ist das Festhalten an der BrĂ€nde verursachenden Glasscherbe aus einem andern Grund, der auf einer Fehlinterpretation und Vermutungswissen beruht: Wir alle kennen den Brennglaseffekt. Jeder von uns hat als Kind schon mit einer Lupe Sonnenlicht gebĂŒndelt und Papier entfacht oder in ein StĂŒck Holz Zeichen gebrannt. Auf den ersten Blick erscheint es deshalb logisch, dass auch eine Glasscherbe auf dem trockenen Boden einen Brand entfachen könne. Nur, der Denkfehler liegt darin, dass wir die Lupe in einem bestimmten Abstand und Winkel zum Boden halten und das Glas der Lupe konkav ist. Scherben liegen auf dem Boden und sind nicht (mehr) entsprechend bikonvex geschliffen. Selbst wenn die Glasscherbe, wie in der oben zitierten Analyse, in mehreren Zentimetern Höhe gehalten wird, tritt kein Brennglaseffekt ein.
Eine andere Kategorie ist das Verbreiten bewusster Unwahrheiten zum Zwecke des Umweltschutzes. Das mag ein hehres Ziel sein, die Feuerwehr ist aber nicht fĂŒr diese Art des Umweltschutzes zustĂ€ndig. Zivilisatorische MĂŒll fĂ€llt in andere ZustĂ€ndigkeitsbereiche. Wenn man es besser weiĂ, warum erzĂ€hlt man dann Mythen weiter? Damit ist keinem geholfen, zumal das Verbreiten von Unwahrheiten durchaus auf einen selbst zurĂŒckfallen kann. Bei einer brennenden MĂŒlltonne erteilen wir ja auch nicht RatschlĂ€ge, wie der MĂŒll korrekt zu trennen ist, um eventuell das Risikos eines Brandes zu minimieren.
Aber zurĂŒck zum Thema Glas. NatĂŒrlich können entsprechend geschliffene, aus Glas bestehende GebrauchsgegenstĂ€nde Licht bĂŒndeln und BrĂ€nde verursachen. Deshalb ist der Hinweis, keine Glasflaschen im Wald oder in der Vegetation liegen zu lassen oder wegzuwerfen, sogar richtig! Im Ăbrigen gilt das sogar fĂŒr mit klarer FlĂŒssigkeit gefĂŒllte PET-Flaschen! Leider gibt es hierzu bisher nur Erkenntnisse der Brandursachenermittlung, aber keine wissenschaftliche Untersuchung.
Also, um es kurz zu machen: Nach derzeitigem Kenntnis- und Wissensstand ist es bezogen auf unsere klimatischen Bedingungen als
- sehr unwahrscheinlich anzusehen, dass Glasscherben durch den Brennglaseffekt einen Waldbrand hervorrufen können.
- Das gilt ausdrĂŒcklich nicht fĂŒr intakte Flaschen und fĂŒr mit klarer FlĂŒssigkeit gefĂŒllte PET-Flaschen.
- Intakte Glasschalen und Vasen mit spiegelnder OberflÀche (z. B. Metall) haben das Potenzial, BrÀnde auszulösen.
Flasche ist aber nicht Scherbe. Scherben sind Abfall und gehören weder in Wald noch Flur, sondern in die entsprechenden zur Entsorgung bereitstehenden Container.