Eine Kolumne von Stefan Cimander

Nach vorne gerichtetes, blaues Blinklicht

Als ich vor einiger Zeit die Frage in die virtuelle Runde warf, was dem Auditorium beim Thema „Feuerwehr und Digitalisierung“ in den Sinn käme, hagelte es viele Antworten. Eine Entgegnung stach besonders hervor: Lachkrampf.

Feuerwehr und Digitalisierung

Feuerwehr und Digitalisierung, Feuerwehr und Modernisierung, Feuerwehr und neue technische und taktische Anwendungen. Das Pendel schlägt hin und her zwischen „nö, das haben wir schon immer so gemacht“ und „das müssen wir unbedingt haben“.

Digitalisierung ist ein Schlagwort, das in Diskussionen eine unscharfe oder pauschale Verwendung findet und in das die Angesprochenen das hinein fokussieren, was subjektiv im Eigen-/Firmen-/Organisationsinteresse liegt.

Digitalisierung und digitale Transformation

Digitalisierung meint ursprünglich das informationstechnische Verarbeiten von Daten. Diese Definition ist vor allem auf den technischen Prozess der Umwandlung oder der Erzeugung bezogen. Sicher, Digitalfunk, CAN-Bus, Tablet in der Löschkarre, ja sogar die Wärmebildkamera sind in dieser Sichtweise Digitalisierung. Den fortlaufenden Veränderungsprozess nennt man digitale Transformation.

Altes durch Neues ersetzt

Für die Feuerwehr ändert sich – soweit absehbar – bei der Abarbeitung von Einsatzlagen wenig, lediglich bestimmte Handlungsabläufe erhalten maschinelle oder informationstechnische Unterstützung. Statt des Hommels als Buch gibt es diesen nun digital auf dem Fahrzeug; statt Handrädern und analoger Druckanzeigen gibt es nun Knöpfe und digitale Anzeigen an der Pumpe; statt analogem nutzen wir … (bald) digitalen Funk.

Etwas Altes wird durch etwas Neues ersetzt, so wie die Filz- und Baumwolluniform durch moderne Funktionstextilien ersetzt wurde; so wie die Handkraft durch Maschinen beim Pumpen ersetzt wurde; so wie der (Krad-)Melder durch den Funk ersetzt wurde. Statt Löscheimer nutzen wir Schläuche und Pumpen, statt Pferdezug fahren wir mit Selbstzündern zum Einsatz, statt Baumwollkleidung ziehen wir Hightechfasern an.

Feuerwehr und der Veränderungsprozess

So sieht Modernisierung aus, auch wenn diese bei der Feuerwehr manchmal mit … Übergangszeiten verbunden ist und beispielsweise das Faxgerät erst lange nach der Jahrtausendwende in so manchem Feuerwehrhaus installiert wurde, als schon jeder Feuerwehrangehörende mit Smartphone ausgestattet war. Die Frage ist, wohnt der Digitalisierung etwas Spezielles inne, das sie von der Modernisierung als technischen und gesellschaftlichen Prozess signifikant unterscheidet?

Nur weil etwas schon seit Jahrzehnten existiert, zum Beispiel die Wärmebildkamera oder der Digitalfunk, ist dessen Einführung keine Digitalisierung im Sinne eines grundlegenden Veränderungsprozesses. Der Fokus liegt also nicht auf dem, was seit Jahren technisch machbar und erprobt ist.

Nun gilt es zu unterscheiden zwischen der reinen Einführung von neuen Geräten (Upgrade) und einem grundlegenden Veränderungsprozess. Beruflich komme ich aus dem sicherheitsindustriellen Umfeld. Ein Kunde macht sich Gedanken über solche Aspekte wie Interoperabilität, die Vernetzung verschiedener Wirksysteme bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das traditionelle Vorgehen, die traditionelle Taktik erfährt hierbei eine grundlegende Wandlung und Überarbeitung. Aktiv stellen die Verantwortlichen das Bisherige in Frage.

Wie sieht die Feuerwehr der Zukunft aus und was bedeutet dies für die Organisation als solche? Gibt es die Killer-Applikation, die das, was wir als Feuerwehr kennen, grundlegend verändert? Gibt es eine disruptive Entwicklung, die altbekanntes verschwinden lässt?[1]

Feuerwehr 1.0

Schauen wir mal in die Vergangenheit. Analysiert man den Beginn der organisierten Feuerwehr[2] fällt folgendes auf: Haupteinsatzgebiet der Pompier-Corps war das Bekämpfen von Bränden. Die großen Stadt- und Großbrände[3] dieser Zeit offenbarten die enorme Gefahr, die von Feuer in einer sich industrialisierenden, von Landflucht geprägten Gesellschaft ausging.

Die Gründung der ersten organisierten Feuerwehren geschah deshalb nicht ohne Eigennutz durch das Bürgertum selbst.[4] Geprägt war das Abarbeiten der Einsätze durch viel Handarbeit. Maschinen, sofern es diese gab, liefen selten selbsttätig. Ohne manuellen menschlichen Kraftaufwand konnten die Helfer weder das Wasser pumpen, noch die Leiter aufstellen.[5] Aus diesem Grund bestand der Bedarf nach viel Personal. Im Grunde war so manches Dorf bei einem Brand vollständig in den Brandeinsatz einbezogen. Die Bürger selbst halfen sich gegenseitig, opferten für das Exerzieren (wie der Übungsdienst damals hieß) ihre Freizeit.

Der Staat hielt sich zunächst aus diesen Angelegenheiten heraus,[6] auch wenn in den Großstädten dieser Zeit die ersten Berufsfeuerwehren allein schon aus praktischen Gründen heraus gegründet wurden.[7] Das bedeutet natürlich auch, dass die Maßnahmen, verglichen mit der Gegenwart, eher langsam vorangingen. Die Helfer holten das Wasser mühsam mit Eimern herbei und füllten es in die Pumpen um.

Vom Gesichtspunkt der Effektivität würden wir das heute anders beurteilen, aber Ziel war es zu vermeiden, dass ganze Dörfer, Stadtteile oder Städte dem Roten Hahn zum Opfer fielen. Ein einzelnes zerstörtes Haus fiel in dieser Gesamtrechnung nicht weiter auf. Nicht zu unterschlagen, waren die langen Meldewege jener Zeit.

Feuerwehr 2.0

Um es vorweg zu schreiben: Die harte Grenze zu Version 2.0 gibt es vermutlich nicht. Die Industrialisierung, Verstädterung und neue Technologien veränderten das Aufgabengebiet der Feuerwehr. Neben der Brandbekämpfung rückten die Themen technische Hilfeleistung, Luftschutz und Gefahrgut sowie den Rettungsdienst in den Fokus.

Maschinen und Motoren erleichterten die Arbeit zunehmend.[8] Fahrzeuge waren schneller am Ort des Einsatzes, Pumpen förderten mehr und effizienter Wasser dorthin, wo es benötigt wurde. Insgesamt kamen die Wehren nun mit weniger Personal aus. Zusätzlich kam es zu einheitlichen Vorschriften und Ausstattungen,[9] weshalb die Professionalität der Wehren in Summe, aber gleichzeitig auch die Professionalisierung durch mehr hauptamtliches Personal stiegen.

Trotzdem bildete das Heer von Freiwilligen nach wie vor das Rückgrat der Gefahrenabwehr. Die Eintreffzeiten der Hilfe verkürzten sich entsprechend dramatisch und die Feuerwehr rettet mehr Menschenleben und Sachwerte. Die Hilfeleistung erlangte mit den Jahren ein bislang nicht gekanntes Qualitätsniveau und Effektivität. Technologien wie das Telefon (und seine Weiterentwicklung) wie auch die automatische Brandmeldung verkürzten die Meldewege.

Während sich der Übergang von Feuerwehr 1.0 zu Feuerwehr 2.0 in relativ kurzer Zeit, ja sogar parallel vollzog (ca. 50 bis 70 Jahre), erweist sich die Feuerwehr 2.0 bisher als recht beständig.

Feuerwehr 3.0

Klar, es gab in den vergangenen Jahrzehnten kleinere Verbesserungen, aber bis heute sieht man nur skizzenhaft eine Feuerwehr 3.0, die sich qualitativ deutlich von Version 2.0 unterscheidet. Legt man die oben genannten Punkte zu Grunde (Einsatzarten, Grad der Maschinisierung, Personal, Grad der Professionalisierung, Zeit, Grad der Effektivität, Meldeweg), ergibt sich für die Feuerwehr der Zukunft vielleicht das folgende Szenario.

Brände wird es auch in der Zukunft geben, ebenso wie die technische Hilfeleistung. Bei letzterem ist anzunehmen, dass es gerade bei Verkehrsunfällen zu einer stärkeren Integration computergestützer Hilfsmittel kommt. Statt des Tablets mit den Schnittanweisungen unterstützt die Augmented Reality einer in den Helm integrierten Informationseinrichtung den arbeitenden Helfer. Sollte das Automobil der Zukunft tatsächlich so autonom (oder intelligent) sein, wie prognostiziert, dann kommuniziert die Feuerwehr nicht mehr nur noch mit dem Kunden, sondern womöglich auch mit der Fahrzeug-KI.

Digitale Kompetenzen, auch im Kontext der cyber-physikalischer Systeme, nehmen zu. Unter Umständen muss die Feuerwehr unter Einsatz von Computern und KI öffentliche Infrastruktur notfallmäßig schützen. Die Maschinen und Fahrzeuge der Feuerwehr arbeiten viel autonomer als bisher, sodass vielleicht sogar der Maschinist entfällt. Künstliche Intelligenzen, Roboter und Drohnen sowie Exoskelette verstärken oder ersetzen die Einsatzkräfte,[10] denn Demografie und Attraktivität des Berufs (oder die Eignung für diesen Beruf) sind wichtige Aspekte.

Der Mensch dient nur noch als Supervisor, als Überwacher und Mechaniker. Damit sinkt einerseits der Bedarf an einem Heer von Freiwilligen, andererseits steigt der Bedarf an professionalisierten, spezialisierten Einsatzkräften. Freiwillige Feuerwehr reduziert sich noch mehr auf das Pflegen von Tradition und Erinnerung oder sie bildet eine Art bürgerschaftliche Reserve für den Fall des Ausfalls der Technik.

Gleichzeitig ist die Feuerwehr mit Hilfeleistungsdrohnen und fliegendem Gerät[11] schneller am Ort des Geschehens. Die Effektivität der Hilfe steigt durch den massiven Einsatz von Technik. Die Eingreifzeiten verkürzen sich noch weiter, denn Technologien wie zum Beispiel eCall, Überwachungsdrohnen, Videoüberwachung, flächendeckender Einsatz vernetzter Rauchmelder und „Predictive Firefighting“[12] verkürzen die Meldewege erneut dramatisch.

Quo Vadis?

Für diese Gegenüberstellung zog ich nur einige wenige Vergleichsaspekte heran. Der Vergleich lässt sich sicherlich um weitere Aspekte erweitern. Nun ist das Thema Digitalisierung – auch wenn es im Grunde Modernisierung ist – ein gegenwärtig kontrovers diskutiertes und mit unterschiedlichen Ängsten besetztes Thema. Meine Generation erlebt diesen Übergang bei der Feuerwehr sicherlich noch. Allerdings wird es nicht den einen großen Umbruch geben, sondern viele Entwicklungen passieren schleichend. Einige bemerken wir, andere vielleicht nicht.

Die Feuerwehr hat sich immer äußeren Umständen angepasst, oft nachgelagert (Verstädterung, Industrialisierung), teilweise aber auch geplant (Zeit des Nationalsozialismus). Was die Zukunft betrifft, die Feuerwehr passt sich an, allein schon, um handlungsfähig zu bleiben, auch wenn das so manchem Floriansjünger nicht gefällt.

Vielleicht geht es auch in eine ganz andere Richtung? Statt einem mehr an Technik, erleben wir die Rückkehr zur Selbsthilfe? Vielleicht gibt es auch ein großes staatliches Hilfscorps, das alle hilfeleistenden Dienste zusammenfasst und für politische Zwecke missbraucht wird?[13] Statt uns überraschen zu lassen und dann in große Beckmesserei zu verfallen, sollten wir die Feuerwehr 3.0 aktiv gestalten, mitbestimmen aber auch Entwicklungen akzeptieren, so wie sie kommen.


[1] Vgl. auch Thomas Kuhn: Die Cyber-Löscher. In: Wirtschaftswoche vom 15.08.2008 https://www.wiwo.de/technologie/braende-die-cyber-loescher/5456878-all.html

[2] Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.: Merkblatt 11/01. Existenz- und Altersbestimmung einer Feuerwehr. Dezember 2005. Vgl. Dieter Jarausch: Feuerwehren: Wie sind sie entstanden? Downlaod auf der Webseite des vfdb.

[3] Ebd. Jarausch: Feuerwehren.

[4] Vgl. u.a. Martin Nestler: Der Feuerwehrpionier und Unternehmer Conrad Dietrich Magirus. Erfurt: Sutton 2011. (Hierzu gibt es im Feuerwehr Weblog eine Rezension: Stefan Cimander: Das Wesen Magirus in allen seinen Teilen. Rezension einer Magirus Biografie. In: Feuerwehr Weblog vom 04. Oktober 2012, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2019. https://www.feuerwehr-weblog.org/2012/10/04/das-wesen-magirus-in-allen-seinen-teilen/)

[5] Bspw. datiert die erste Leiter mit automatischen Auszug aus dem Jahr 1922. Vgl. Stefan Cimander: Von der Handzug- zur Hightechleiter. In: FWNetz vom 19.04.2008, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2019. https://www.fwnetz.de/2008/04/19/von-der-handzug-zur-hightechleiter/

[6] Verweis suchen

[7] Zur Entwicklung der Berufsfeuerwehren siehe auch Rudolf Prescher: Deutsche Berufsfeuerwehren von 1851 bis 1932. Vfdb Brandschutzgeschichte Bericht Nr. 7, 1983. Benno Ladwig, Rudolf Prescher, Hans-Dieter Spohn: Hauptberufliche Kräfte bei Freiwilligen Feuerwehren und Freiwillige Feuerwehren bei Berufsfeuerwehren. Vfdb Brandschutzgeschichte Bericht Nr. 15, 1987.

[8] Vgl. Stefan Cimander: Fährt die Feuerwehr elektrisch? In: Feuerwehr Weblog vom 02. Januar 2018, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2018. https://www.feuerwehr-weblog.org/2018/01/02/faehrt-die-feuerwehr-elektrisch/

[9] Vgl. Stefan Cimander: Snippets von der Retro Classics (3): Einheitsfahrzeuge. In: FWNetz vom 29.03.2011, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2019 https://www.fwnetz.de/2011/03/29/snippets-von-der-retro-classics-3-einheitsfahrzeuge/ und Heiko Reinholz: Walter Schnell. In: Feuerwehrchronik, 14. Jg, 2018, Nr. 06 vom 30.11.2018, S. 184-193. Reinholz beschreibt die Einführung des dreigliedrigen Löschangriffs in den 1930er Jahren.

[10] Vgl. Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.: Roboter, Exoskelette und ohne Blaulicht – die Zukunft der Feuerwehren? Pressemitteilung vom 27. Dezember 2017, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2019. https://www.vfdb.de/vfdb-ev/news/breaking-news/article/roboter-exoskelette-und-ohne-blaulicht-die-zukunft-der-feuerwehren//?L=1&cHash=fd8d6163acc55c6d3da4409092abdd07

[11] Vgl. Stefan Cimander: Vom Himmel hoch, da komm ich her. Eine Kolumne zum Thema fliegende Fahrzeuge. In: Feuerwehr Weblog vom 07. Februar 2017, zuletzt abgerufen am 02. Mai 2019. https://www.feuerwehr-weblog.org/2017/02/07/vom-himmel-hoch-da-komm-ich-her/

[12] Jens Müller: „Predictive Firefighting“ – ein Thema der Zukunft für deutsche Feuerwehren. In: BRANDschutz: Deutsche Feuerwehr-Zeitung, 69. Jg., 2015, Nr. 09, S. 759-763.

[13] Und die politischen Dimensionen eines solchen Apparates sind mal außen vor gelassen, Stichwort Feuerschutzpolizei. Vgl. auch Stefan Cimander: Kerosin als Waffe des Konformismus. Ray Bradburys Klassiker Fahrenheit 451 aus der Bücherkiste geborgen. In: Feuerwehr Weblog vom 30.01.2015, zuletzt abgerufen am 21.05.2019. https://www.feuerwehr-weblog.org/2015/01/30/kerosin-als-waffe-des-konformismus/