Eine Kolumne von Stefan Cimander

Der Weg zum Wissen ist ein steiniger und ist keineswegs ein gerade Spur zum Licht der Erkenntnis.

„Die Wissenden reden nichts, die Redenden wissen nichts“, klagt ein chinesisches Sprichwort an und meint, dass die, die nützliches Wissen besitzen, es nicht mit anderen teilen, während die, die kein Wissen haben, das Nicht-Wissen lautstark verbreiten. Fake News, nennen wir das im Neusprech. Dem ließe sich entgegenhalten, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Manchmal sollte der, der unbedingt Reden will, schweigen, statt unpassendes, überflüssiges oder gefährliches Halb- und Unwissen zu verbreiten. Der Schaden ist immens, siehe Elon Musk, siehe POTUS Trump, siehe „Söderhofer“.

Während das eine Idiom auf die Teilhabe an Wissen zum Nutzen aller abzielt, ist das andere Sprichwort auf das Individuum bezogen. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ lässt sich auch anders interpretieren: Manchmal ist es besser zu schweigen, um sich als Individuum zu schützen, nicht angreifbar zu machen, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Abseits linguistischer Haarspalterei treffen beide Sprichworte auf das Kommunikationsverhalten in der (freiwilligen) Feuerwehr zu.

L’État, c’est moi

Am bekanntesten ist der feuerwehrtypische Spruch „Das haben wir schon immer so gemacht“. Er dient meist dazu, missliebige und unerwünschte Meinungen in einer Debatte im Keim zu ersticken. Neues Wissen, neue Erkenntnisse empfinden gestandene Angehörige der Feuerwehr oder die Führung als Bedrohung. Schließlich könnte, wenn sich das Neue durchsetzt, der eigene Herrschaftsanspruch erodieren. Wissen und Macht stehen nach Francis Bacon in einer Beziehung zueinander, denn Wissen sichert Macht, das Nichtwissen der anderen, sichert die eigene Herrschaft.

Umgekehrt offenbart das Wissen der Anderen, dass man selbst wenig Ahnung besitzt. Wie stünde der lamettatragende Floriansjünger denn da, wenn man ihm sozusagen mit heruntergelassenen Hosen vor der Mannschaft erwischt?

Angst vor Veränderung

Natürlich könnte es auch schlicht die Angst vor Veränderung per se sein, die sich auf vielen Ebenen der Gesellschaft findet und deren Spiegel die Feuerwehr scheinbar ist. Angst neue Taktiken zu erlernen, Furcht sich mit neuer Technik zu beschäftigen, Feigheit generell Bestehendes zu hinterfragen. Hinter Ablehnung und Unterdrückung von Wissen könnte deshalb die Besorgnis vor Ausbildungsmehraufwand oder das eigne Halbwissen stecken. Dann doch lieber die Nase aus allem Neuen heraushalten, dieses wegdiskutieren und unterdrücken und sich seine eigene Freizeit sichern. Außerdem kostet dieser neumodische Mist nur Kohle, die besser für den nächsten Oktoberfestbesuch ausgegeben ist.

Ich mach mir die Welt …

… wie sie mir gefällt! Neues Wissen lässt sich prima für die eigenen Zwecke nutzen, indem man es absichtlich missinterpretiert, um das zu bekommen, was man will. Die Forderung nach Löschflugzeugen fand im vergangenen Sommerloch große Resonanz. Vor so einer C140 in schickem Feuerrot (oder Ultramarinblau) kann man besser posieren, als vor den nicht gut visualisierbaren, kleinen, jedoch effektiven taktischen Veränderungen. In der Feuerwehrfachwelt knallten daraufhin viele Köpfe auf die Tische.

Schweigen ist in diesem Kontext eine Überlebensstrategie. Wer den Mund aufmacht, läuft Gefahr im absolutistischen Meinungssystem freiwillige Feuerwehr unter die Räder zu kommen. Wem sein Engagement lieb und teuer ist, hält den Mund. Die Wissenden schweigen und Schweigen ist Gold.

Alter Sack was willst Du

Spiegelbildlich ist es möglich, dass das Wissen der Älteren keine Resonanz findet. Frisch von der Schule meinen die Jungen alles in Frage stellen zu müssen und vergessen dabei den Wert, den das Erfahrungswissen der Älteren besitzt. Vorschläge und Tipps der Älteren verhallen ungehört. Gezielt werden Ältere herausgedrängt, weil man als Junger vorwärtskommen will. Das geht so weit, Feuerwehrleute ab einem bestimmten Alter nicht mehr auf Lehrgänge zu schicken, nicht mehr in den Angriffstrupp zu lassen oder gleich des Erstausrückers zu verweisen – des Alters wegen.

Wieder zeigt sich die Feuerwehr auch hier als Spiegel der Gesellschaft. Ältere erfuhren in der deutschen Wirtschaft lange Zeit Diskriminierung. Langsam ändert sich das. Statt Anti-Ageing, setzt sich langsam das Pro-Ageing Denken durch. Die Potenziale des Einzelnen stehen im Vordergrund und es gilt, diese sinnvoll einzusetzen. Die viel beschworene Demografie lässt die Altersdiskriminierung verschwinden, weil den Unternehmen nichts anderes übrig bleibt. Stichwort Fachkräftemangel.

Nur in der Feuerwehr mahlen die Mühlen immer etwas langsamer. Statt Ältere als Angehörige zu halten, drängt man sie heraus, statt Ältere als Zielgruppe für ein Engagement zu identifizieren, schiebt man dem per Satzung ein maximales Aufnahmealter vor.

Implizites und explizites Wissen

Dabei ist Wissen nicht immer gleich Wissen. Während das explizite Wissen in der Schule, an der Universität oder auf dem Lehrgang artikulierbar und dokumentierbar ist, stellt sich die implizite Variante als das heraus, was sich nicht im Lehrsaal vermitteln lässt, weil es sich um Erfahrungswissen handelt. Umwandlung impliziten Wissens in explizites Wissen erfolgt mittels persönlicher Interaktion und Kommunikation.

Erfahrung (und damit Wissen) geht verloren. Ältere Kameraden gehen, die Jungen haben wenig Erfahrung und plötzlich sind sie selbst „alt“, können den neuen Jungen aber nichts vermitteln – außer der Theorie. Hand in Hand zu arbeiten, pro Trupp ein junger und ein älterer Angehöriger, das sind die Faktoren für den nachhaltigen Wissensaustausch in beide Richtungen.

Wie in vielen Unternehmen krankt die Wissensvermittlung, unabhängig davon, ob es sich um implizites oder explizites Wissen handelt, an der Top-Down-Kultur in der Feuerwehr. Offene Kommunikation ist selten möglich. Mit ihren demokratischen Wurzeln, auf den sich die freiwillige Feuerwehr so gerne beruft, hat das nichts mehr zu tun.

Der Zugführer weiß nicht alles, auch wenn es schwer ist, zuzugeben. Statt aber das Spezialwissen von (einfachen) Feuerwehrangehörigen zum Wohle aller anzuzapfen, gilt das Prinzip: L’État, c’est moi. Alles beruflich bedingte oder selbst aneignete Wissen, haben hier keinen Platz. Nur das (Halb-, Un-, Alt-) Wissen, das vom Feldherrenhügel herabfällt, ist von Relevanz. Auf diese Weise ging schon so manche Schlacht verloren.

Dabei hängen Wissen und Motivation eng zusammen. Wissen vermittelt zu bekommen und zu hinterfragen, wie auch selbst sein eigenes Wissen vermitteln zu dürfen, bindet die Leute und gibt dem Engagement Sinn. Die Steigerung des Selbstwerts durch das aktive Vermitteln von Wissen wirkt sich wiederum positiv auf das Teamgefüge und die Organisation als Ganzes aus.

Ein gesunder und kontinuierlicher Wissenstransfer von oben nach unten, von unten nach oben, von jung zu alt, von alt zu jung hat nur Vorteile. Er trägt zur Optimierung der Arbeitsprozesse bei; vermeidet Fehler und Doppelarbeit; durch unterschiedliche Perspektiven (Alter, Beruf) lassen sich Probleme leichter identifizieren und in Lösungen umsetzen; Schlüsselwissen bleibt für die Organisation erhalten; Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen führt zu mehr Leistungsfähigkeit; Experten sind leichter identifizierbar; und schließlich führt das Vernetzen der Angehörigen untereinander und das kollaborative Arbeiten zu einer stärkeren Bindung an die Organisation.

Vieles spricht dafür, die Feuerwehr wie ein Unternehmen zu sehen und (Management) Methoden aus der Wirtschaft auf die Feuerwehr anzuwenden. Damit vermeidet man, dass die Wissenden nicht reden. Die Feuerwehr lebt vom Erfahrungswissen, nur so entwickelt sie sich weiter. Durch Trial and Error Methoden, durch schlichtes Ausprobieren, verbesserten Feuerwehren und Feuerwehrforscher ihre Prozesse und stellten so manche Taktik in Frage. Das bedeutet aber, dass wirklich alle – Jung und Alt – ihr Wissen einbringen dürfen.

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