Rezension von Schlemmers Eine unsichtbare Welt sehen

Cover des Buchs "Eine unsichtbare Welt sehen"

Was Schlangen seit Millionen von Jahren meistern, beherrscht der Mensch im Verhältnis erst seit wenigen Sekunden: das Sichtbarmachen von Wärmestrahlung. Harry Schlemmer, promovierter Physiker und Experte für die Entwicklung optischer und infraroter Systeme bei der Carl Zeiss Sondertechnik bzw. HENSOLDT Optronics legt mit dem Buch „Eine unsichtbare Welt sehen“ eine auf unternehmensinternen Vorträgen basierende Publikation zur Entwicklung wärmebildgebender Geräte vor.

Eine Ahnung, wann das erste Thermogramm entstand? Dies gelang 430 v. Chr. dem Arzt Hippokrates von Kos. Erst 1825 gelang es dem Engländer Sir John Herschel auf einer dünnen, mit einem Ölfilm überzogenen Metallplatte ein Wärmebild mit einer Auflösung von einem Grad Celsius Temperaturdifferenz sichtbar zu machen und damit die Entwicklung der modernen Wärmebildtechnik einzuleiten.

Die Sichtbarmachung bzw. die Forschung auf diesem Gebiet der Wärmestrahlen ist kein Novum, wie anzunehmen wäre. Schlemmer vermischt die chronologische mit der personenbezogenen Darstellung, ihm gelingt ein guter und lesbarer Abriss, der ein Stück weit Naturwissenschaftsgeschichte darstellt. Durch biografische Einlassungen und Anekdoten ist das Kapitel kurzweilig und alle großen Namen der Wissenschaft finden Erwähnung. Z. B. begründete Max Planck nebenbei die Quantenmechanik, dabei forschte er nur zur Wärmestrahlung!

Der Autor betont, dass sich das Buch an den technisch interessierten Leser und Angehörige der Optikbranche richtet. Dies zeigt sich beim Lesen der Lektüre nachdrücklich, denn die verschiedenen Beschreibungen der im Laufe der letzten 200 Jahre entwickelten Vorrichtungen zur Sichtbarmachung infraroter Strahlung nehmen breiten Raum ein und sind ebenso detailliert. Zwar sind die Ausführungen sämtlich durch beschreibende Grafiken erklärt, dennoch wird es dem technisch weniger affinen Leser schwerfallen, der technisch-historischen Ausarbeitung zu folgen, sofern er keine technische Vorstellungskraft besitzt und Fachausdrücke nicht kennt. Schlemmer listet akribisch die verschiedenen Stufen der Entwicklung auf, zeigt jedoch ebenfalls die Sackgassen, die sich auftaten. Leser sollten aufpassen, nicht den Überblick zu verlieren. Schlemmer legt dar, dass für viele Probleme zur Lösung mehrere Iterationsschritte notwendig waren und die Suche nach geeigneten Materialien viel Zeit und viele Experimente erforderten.

Um Wärmebildstrahlung abzubilden, eignen sich zwei Technologien. Zum einen ist dies das in der Natur von den Schlangen genutzte Bolometerprinzip, zum anderen das photoelektrische Prinzip. Schlemmer zeichnet die verschiedenen Entwicklungsschritte nach. Wichtige Impulse kamen vom (deutschen) Militär, die den Wert entsprechender Peilgeräte schnell erkannte. Deutschland war zur Zeit des Nationalsozialismus führend auf dem Gebiet, sowohl im Erforschen wie dem Entwickeln von Wärmepeilgeräten. Wissen, auf dass die Alliierten nach dem Ende des Krieges gerne zugriffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bedurfte es der Fortschritte in der Medizintechnik, um das amerikanische Militär endgültig von der Wärmebildtechnologie zu überzeugen. Die Wärmebildgeräte präsentierten erst im zweiten Golfkrieg, was sie zu leisten im Stande sind!

Mitte der 1960er war die Technologie vom Prinzip so weit entwickelt, wie wir diese heute kennen. In den 1970er versuchte die Industrie die Geräte günstiger zu machen. Bis dahin dominierten teure Einzelentwicklungen.

Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf den Forschungen und den Entwicklungen, die von deutschstämmigen Forschern bzw. innerhalb deutscher Staaten stattfanden. Aus diesem Grunde liegt das Augenmerk auf dem Darstellen der technischen Entwicklungen aus dem Hause Zeiss bzw. Hensoldt. Dies ist verständlich, da die Forschung und Entwicklung eng mit Zeiss verknüpft ist!

Abschließend stellt Schlemmer die verschiedenen Entwicklungen gegenüber. Er zeigt, dass jedes Land eigene technische Traditionen hat, die auf identischen Grundlagen beruhen. Verständlich stellt Schlemmer dar, dass es „die beste Lösung“ nicht gebe, da bestimmte Vorteile mit Nachteilen auf anderem Gebiet verknüpft sind. Moderne Systeme haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich in Größe, Leistungsverbrauch und Auflösung.

In einem Ausblick legt Schlemmer dar, innerhalb welcher physikalischen Grenzen sich die weitere Entwicklung bewegt und welche Verbesserungen er technologisch erwartet.

Etwas kurz fällt der Abschnitt zur dritten Generation der Wärmebildgeräte aus, ebenso das Darlegen der Mikro-Bolometer-Technologie, die bspw. in den Wärmebildkameras der Feuerwehren Anwendung findet. Beides ist kurz im abschließenden Kapitel erwähnt. Wie angeführt richtet sich das Buch an einen Leserkreis, der in der Materie verhaftet ist. Schlemmer greift viele physikalische Eigenschaften und Restriktionen in den Kapiteln auf, bei der Vielzahl der Einzelheiten verliert der Laie schnell den Überblick. Ein Exkurs über das Entstehen der infraroten Strahlung wäre für die Abhandlung von Vorteil. Bisweilen entsteht der Eindruck, dass der Autor im technischen Dickicht die großen Entwicklungslinien aus den Augen verliert, immerhin fasst er dies in einem Abschlusskapitel zusammen.

In Teilen ist es anstrengend die Auflistungen zu lesen, wer wann welchen Auftrag bekam. Allerdings wird es an dem Punkt interessant, wenn Probleme und Herausforderungen sowie politische Entscheidungen zusammentreffen.

Ein Literaturverzeichnis existiert nicht, die zitierten Publikationen, auf die Schlemmer Bezug nimmt, muss sich der Leser aus den Endnoten extrahieren. Begrüßenswert wäre das bessere Hervorheben gelöster Probleme bzw. noch bestehender Probleme, die aus Sicht eines technisch weniger versierten Lesers zum besseren Verständnis beitragen würden.

Im militärischen Umfeld seit einigen Jahren ebenso aktuell ist die IR-Maskierung, das Gegenteil dessen, das Schlemmer beschreibt. Bis zu welchem Grad Tarnung denkbar ist, hätte einen interessanten Exkurs abgegeben.

Für einen schnellen Überblick über die groben Züge der Entwicklung auf dem Gebiet der Wärmebildtechnologie, insbesondere dem Beitrag deutscher Wissenschaftler und Firmen bietet die Publikation eine treffende Darstellung. Einen Gesamtüberblick erhält der Leser nicht, das wäre innerhalb des Umfangs nicht realisierbar und nicht Intention.

Bibliografische Daten

Harry Schlemmer: Eine unsichtbare Welt sehen: die Geschichte der Wärmebildtechnik. Hamburg: E. S. Mittler & Sohn GmbH 2018. 270 Seiten; Festeinband; 25 x 27 cm; EUR 29,95.-

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