Rezension von Besch et al. Spezielle Einsatzlagen

Buchcover "Spezielle Einsatzlagen"

Mit den „speziellen Einsatzlagen“ beziehen sich die Autoren weniger auf ungewöhnliche und nicht alltägliche Brand- oder Hilfeleistungseinsätze[1], sondern verbinden die Wortwahl mit Lagen wie Terroranschlag, Amoklaufe, Räumung, Evakuierung, Suizid und Personensuche. Für diese Ereignisse stellen die Autoren in vier Kapiteln („Anschlag und Amok“, „Räumungen und Evakuierungen“, „Suizid“ und „Personensuche“) in Anlehnung an Standard-Einsatz-Regeln (SER) allgemeine Hinweise und Besonderheiten zusammen und zeigen Handlungsanweisungen auf, die vom Standardeinsatzschema abweichen.

Auch wenn die Kapitel eine Reihe von Gemeinsamkeiten bieten und thematische Überschneidungen haben, handelt es sich dem Grunde nach um vier verschiedene „Bücher“. Das ist den Texten anzumerken, denn jeder Autor hat seine ganz eigene Art und Weise sich seinem Thema zu nähern, vom akademischen Standpunkt bis hin zum praxisorientierten Stil. Über alle Kapitel hinweg betonen die Autoren, dass die Lagen nur organisationsübergreifend zu bewältigen sind und damit das „Über-den-Tellerrand-schauen“ zu einer der impliziten Ausbildungs- und Einsatzvorbereitungsmaßnahmen einer Hilfsorganisation gehört. Wichtig dabei ist, dass akzeptiert werden muss, dass in bestimmten Situationen die Lage von einer anderen Organisation geführt wird. Da die in den Kapiteln geschilderten Ereignisse stark das Aufgabenfeld der Polizei berühren, sind gegenseitiges Verständnis und Wissen über die Arbeit und das Vorgehen des jeweils anderen notwendig.

Priorität hat Informationsgewinnung

Das Kapitel „Anschlag und Amok“ ist inhaltlich umfassend sowie komplex und füllt den größten Teil des Buches aus – dies ist dem Aspekt absolut angemessen, denn entsprechende Lagen lassen sich nicht mit den standardisierten Vorgehensweisen von Feuerwehr und Rettungsdienst abarbeiten.

Hauptproblem ist der Mangel einer Ressource: Information! Allein schon die Frage, ob ein Anschlag vorliegt, ist im Gegensatz zu einem Wohnungsbrand zuerst nicht zu beantworten. Hauptaugenmerk sollte darum bei der Einsatzplanung auf der Informationsgewinnung liegen, auch deshalb, um eigene Kräfte (nicht noch mehr) zu exponieren. Grundsätzlich gilt, dass diese Lagen nicht planbar sind und vom gewohnten Einsatzablauf abweichen, da es viele unbekannte Variablen gibt. Vorbereitung bedeutet, sich auf militärische Taktiken einzustellen, angefangen vom genauen Beobachten und Erkennen ungewöhnlicher Umstände, bis hin zur taktischen Rettungsmedizin.

Die Autoren fordern in dem Zusammenhang die Einführung handlungslogischer Lernstrategien (Lernen im Arbeitsprozess) und der Kompetenzorientierung in der Ausbildung ebenso, wie sie bspw. gewohnte Taktiken, wie Führen von vorne, BHPs, MANV-Vorgehen konsequent in Frage stellen und auch begründen, weshalb ein alternatives Vorgehen Vorteile bringt. Auch wenn der Begriff in der Öffentlichkeit abgelehnt wird, weisen die Autoren bewusst darauf hin, dass diese Lagen militärisch und nur mit polizeilich-militärischen Konzepten und Vorgehen beherrschbar sind.

Auch wenn die Ausführungen logisch klingen, allein das genaue Beobachten und Bewerten von Auffälligkeiten, erfordert in der Praxis nicht nur sehr konzentriertes, sondern auch erfahrenes Personal. Ehrenamtliche werden sich mehr, Hauptamtliche weniger, auch nach einer Schulung schwertun, entsprechend zu handeln, weil das Personal auf der Einsatzfahrt mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt ist, selbst dann, wenn bereits ein Anschlag vermittelndes Alarmstichwort kommuniziert wurde.

Information erleichtert Durchführung

Im Kontrast zu Anschlägen sind „Räumungen und Evakuierungen“ vorab relativ gut und gezielt planbar. Hauptaugenmerk liegt hier in der Informationsverbreitung, also der Kommunikation von Informationen, die zum kurzfristigen Verlassen einer Gegend beitragen sollen. Dazu gehört jedoch auch ein logistisches Konzept und Betreuungskonzept, das Feinarbeit und das Einbinden von Organisationen mit dem entsprechenden Wissen und Erfahrung voraussetzt. Wichtig ist dabei auch, dass die Selbsthilfefähigkeit „in Friedenszeiten“ gestärkt, gleichzeitig jedoch Selbsthilfemöglichkeiten „in der Krise“ auch kommuniziert werden. Nicht zu vergessen ist, dass die Welt während einer Evakuierung nicht stillsteht, sondern das Tagesgeschäft ebenso bedient, wie der Verkehr gelenkt werden muss.

Dass die Kommunen – aus logistischer Sicht – nicht vorbereitet waren (oder noch immer sind), zeigte die Flüchtlingswelle 2015/16, die die Autoren als Mahnung für die Bereitstellung von Mindestvorsorgemaßnahmen für Räumungen und Evakuierungen verstanden wissen wollen.

Treffend stellen die Autoren ferner dar, dass eine großflächige Warnung der Bevölkerung trotz vieler kommunikationstechnischer Möglichkeiten nur über Sirenen gegeben, (Sirenen-)Warnung und Information jedoch untrennbar miteinander verbunden sind, denn der Grund der Warnung und Handlungsaufforderungen müssen bekannt gemacht werden.

Die Planung einer Räumung und Evakuierung sollte, damit alles reibungslos läuft, generalstabsmäßig geplant und hierzu alle verfügbaren Informationen herangezogen und aktualisiert werden. Die Totalerfassung aller wünschenswerten Informationen ist zwar möglich, aber mit hohem Aufwand verbunden. Mit rein ehrenamtlichen Strukturen sind entsprechende Konzepte wohl auch nicht kurzfristig umsetzbar. Allerdings gibt das Kapitel sehr viele Hinweise, über die sich die Einsatzplanung vorab Gedanken machen muss.

Schnittmenge mit anderen Gefahrenlagen

Das Thema „Suizid“ gewinnt in der Ausbildung an Bedeutung, da es mehrere Vorfälle mit schwer oder tödlich verletzten Einsatzkräften durch z. B. Kohlenmonoxid gab. Allein vor diesem Hintergrund macht es Sinn, sich mit dem Aspekt als eigenes Thema auseinanderzusetzen, auch wenn andere Fachgebiete berührt werden, wie Höhenrettung, Gefahrgut, Bahnanlagen etc. Eine SER zum Thema Suizid bündelt die zu beachtenden Aspekte und spezielle Einsatztaktiken.

Neben allgemeinen Hinweisen zum Thema Suizid geben die Autoren Anhaltspunkte für das taktische Vorgehen, insbesondere für den unklaren Fall, ob es sich um Suizid, Unfall oder Verbrechen handelt. Auch hier gelten Beobachten und Kombinieren von Verdachtsmomenten als wichtigste Handlungsoptionen.

Gleichwohl wird das Kapitel dominiert von der ausführlichen Darlegung der PSNV, die – legt man das ACE-Schema weit aus – auch eine Gefahr für Helfer darstellen. Das ist ein richtiger und wichtiger Hinweis. PSNV ist streng genommen jedoch ein über allen Kapiteln des Buches stehendes Thema.

Das Kapitel ist zwar rudimentär, die für Einsatzkräfte gefährlichsten Formen des Suizids, z. B. mit CO oder H2S, werden dargelegt. Wünschenswert wären eine stärkere Anlehnung an die nicht explizit erwähnte Gefahrenmatrix und mehr einsatztaktische Hinweise, auch wenn es zu einer Wiederholung taktischer Grundsätze anderer Bereiche, wie Bahnanlagen etc. kommt.

Personensuchen sind komplex

Ausgehend von allgemeinen Grundlagen und der Zuständigkeit der Polizei, zeigen die taktischen und organisatorischen Grundlagen, dass die Suche nach Vermissten alles andere als einfach ist. Eine Vielzahl von Hinweisen, z. B. die Kommunikation zwischen verschiedenen Organisationen, Gefahren im Gelände, die richtige PSA etc., offenbaren, dass die Einsatzvorbereitung für die Personensuche zwingend ein Konzept erstellen muss. Die Autoren empfehlen sogar bei den nicht-polizeilichen Hilfsorganisationen eine eigene Fachgruppe, mit entsprechender Ausbildung aufzustellen.

Die Personensuche stellt ein Unternehmen dar, deren Komplexität unterschätzt wird und erst beim Lesen des Buchs zu Bewusstsein kommt. Den Autoren gelingt es mit der Darstellung die Komplexität zu vermitteln.

Fazit

Für die vier behandelten Themenbereiche gibt es bisher keine oder nicht für die Zwecke der Hilfsorganisationen aufbereitete Unterlagen. Die Kapitel verstehen sich deshalb auch als Blaupause für eine SER, die bei der Einsatzvorbereitung und der Abarbeitung unterstützt.

Trotz inhaltlicher Unterschiede bietet das Buch eine klare und strukturierte Informationssammlung, die wichtige Definitionen, (Warn-)Hinweise und real ereignete Beispiele in farbigen Kästen hervorhebt. Weiterhin bieten die Autoren verschiedene, hilfreiche Checklisten an, die bei Vorbereitung und Durchführung hilfreich sind.

Obwohl das Augenmerk im Bereich der Planung und Einsatzvorbereitung liegt, ist die Publikation für die mittleren Führungsränge („Gruppenführer“) als Lektüre zu empfehlen, weil es genau diese sind, die als erste mit entsprechenden Lagen konfrontiert werden und Informationen sammeln müssen. Als Leitfaden für dieses Sammeln eigenen sich die Hinweise und Checklisten aus dem Buch.

Bibliografische Daten

Besch, Florian; Sören Börner; Arvid Graeger; Vanessa Henrich: Spezielle Einsatzlagen. Maßnahmen bei Anschlag, Amok, Räumung und Evakuierung, Suizid und Personensuche. Landsberg am Lech: ecomed Sicherheit 2017. ISBN 978-3-609-77495-4; 200 Seiten; Softcover; Erscheinungsdatum: 10.10.2017; EUR 34,99.- (Link zum Buch)

[1]          Vgl. Nicht mehr jede Feuerwehr wird alles leisten können. Rezension von Cimolino et al. Brandbekämpfung in besonderen Lagen: https://www.feuerwehr-weblog.org/2017/01/30/nicht-mehr-jede-feuerwehr-wird-alles-leisten-koennen/