Eine Kolumne von Stefan Cimander
Die vergangenen Wochen waren, um es neutral zu formulieren, ereignisreich: Der Brand des Grenfell Wohnhochhauses im Londoner Stadtteil North Kensington, der Unfall und Brand eines voll besetzten Reisebusses auf der Autobahn A9 in Oberfranken, die Krawalle rund um den G20-Gipfel in Hamburg und verschiedene Unwetterlagen fĂŒhrten uns vor Augen, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Egal wie viel abwehrenden Brandschutz man sich leistet, egal wie streng der vorbeugende Brandschutz ist, egal wie detailliert Hochwasserwarnsysteme ausgearbeitet sind, egal wie aufmerksam man durch das Leben geht, ein Restrisiko bleibt immer. Und dieses Restrisiko scheint vielen nicht bewusst zu sein oder wird ausgeblendet â auch bei der (freiwilligen) Feuerwehr.
Vor einiger Zeit schrieb ich auf dem Microbloggingdienst Twitter, dass ich den Eindruck habe, die gemeine Bevölkerung werde immer âhilfloser und dĂŒmmerâ. Vorangegangen war die Feststellung, dass groĂe Teile der Bevölkerung mit einer Dampflok nichts mehr anzufangen wissen, und ĂŒberfordert reagieren, wenn es gewaltig raucht und stinkt. Klar, lieber einmal mehr die Feuerwehr anrufen, als einmal zu wenig, aber wenn im örtlichen Bahnhof eine offensichtlich historische Lok steht (Design und Farbe weichen vom bekannten Aussehen elektrisch getriebener Eisenbahnen ab), aus der es hinausraucht, dann kann man sich schon ausrechnen, woher der stoĂweise austretende Rauch stammt, sofern man natĂŒrlich mit der Funktionsweise einer dampfgetriebenen Lok vertraut ist. Ăhnliches Beispiel mit dem anderen Element: Wenn eine UnterfĂŒhrung mit Wasser vollgelaufen ist, dann kann man sich denken, dass das eigene Auto beim Hindurchfahren absĂ€uft, sofern man eben keine Unimog Black Edition mit entsprechender Watttiefe im Stadtverkehr bewegt.
1986 schrieb der Soziologe Ulrich Beck von der Risikogesellschaft und thematisierte die vom Modernisierungsprozess ausgehende Risikoproduktion â anders formuliert, Risiken potenzieren sich, weil die Gesellschaft an sich auch abhĂ€ngiger von der ununterbrochenen Funktionsweise der zur VerfĂŒgung gestellten öffentlichen Infrastrukturen wird. Im Zeitalter der Bits und Bytes, von Cyber-War und Digitalisierung, bleibt Becks Grundthese aktuell, denn es ist festzustellen, dass mit der Zunahme der Risiken eine Art der Risikoausblendung â Ausblendung des Restrisikos â bei den meisten Menschen zu beobachten ist.
Es sei nun dahingestellt, ob diese Risikoausblendung tatsĂ€chlich eine Art Verdummung ist oder ob sich der gemeine BĂŒrger aus der mit GedĂ€chtnis- und Logikleistung verbundenen Eigenverantwortung stiehlt und eben jene Verantwortung an andere âauslagertâ bzw. aus einer Form der DienstleistungsmentalitĂ€t heraus annimmt, irgendjemand wird sich schon zustĂ€ndig fĂŒhlen und zum Helfen kommen.
Dem liegt die fatale â und von unserem Staat leider suggerierte â Annahme zugrunde, alles sei irgendwie geregelt und werde kontrolliert; alles sei fĂŒr bestimmte Situationen vorbereitet; Spezialisten stĂŒnden Gewehr bei FuĂ. In vielen FĂ€llen heiĂt das in der öffentlichen Meinung: Die Feuerwehr ist dafĂŒr da, die Feuerwehr wird es schon richten. Nur ist ein aktiver Feuerwehrangehöriger kein Superman/Supergirl, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, dem auch physische und psychische Grenzen gesetzt sind, auch wenn diese höher als bei anderen liegen können.
So wie man in der Bevölkerung seine Verantwortung auslagert und hofft, dass schon jemand komme, so blendet auch der Feuerwehrangehörige ihm unangenehme Dinge aus: Irgendjemand wird sich schon kĂŒmmern, denken wir uns; wir blenden uns unangenehme Themen in der Ausbildung aus; verweisen mit VorschlaghammermentalitĂ€t darauf, dass das Wissen fĂŒr âcareer fire fightersâ â Berufsfeuerwehrleute â sei und nicht zur Ausbildung eines Freiwilligen tauge. Ist ja auch klar, das Feuer sucht sich ja auch aus, von wem es gelöscht werden will.
Implizit setzen einige in der Feuerwehr also voraus, irgendjemand wird schon etwas tun, wenn dies eintrifft â wenn es denn hypothetisch eintrifft. In der Feuerwehr ist alles hypothetisch und dient als Ausrede, das Restrisiko kleinzureden, um einen Grund zu haben, sich nicht mit bestimmten Themen beschĂ€ftigen zu mĂŒssen. Ist das nun ein groĂer Unterschied zur Gesellschaft? Was fĂŒr den BĂŒrger zutrifft, trifft auch fĂŒr die Feuerwehr zu! Man ist eben Spiegel der Gesellschaft â wir als Feuerwehrangehörige nehmen uns aber heraus, auf einem hohen RoĂ zu sitzen, und schimpfen dabei gerne ĂŒber die ahnungslosen und hilflosen BĂŒrger, unterstellen Dummheit und Faulheit, machen es aber keineswegs besser.
Stichwort Lithium-Ionen Akkus: Die FĂ€lle hĂ€ufen sich, dass Fahrzeuge der Feuerwehr wegen defekter Batterien zum Totalschaden werden (oft mitsamt dem GerĂ€tehaus), weil die âPlug and Playâ-MentalitĂ€t dazu verleitet, grundlegende elektrotechnische Formeln nicht zu ĂŒberprĂŒfen, nicht nachzurechnen. Es wird schon funktionieren und wenn nicht â Restrisiko! Ein groĂer Unterschied zur unbekannten Funktionsweise der dampfgetriebenen Lokomotive ist das nicht. Irgendwie, irgendwer, ⊠wird schon!
Restrisiko hat einen abschĂ€tzbaren und einen unbekannten Anteil â letzterer ist gröĂtenteils der âHuman Errorâ, der Mensch, denn er weiĂ selbst oft nicht, was er tut, wie er reagieren soll. Da hilft nur: Nachdenken. (Eigen-)Verantwortung lĂ€sst sich nun mal nicht delegieren. Als BĂŒrger und als Feuerwehrangehöriger muss man immer davon ausgehen, dass UnglĂŒcke immer dann passieren, wenn wir es am wenigsten erwarten, und wir mĂŒssen vorbereitet sein, ohne teilnahmslos in den Tag hineinzuleben und davon auszugehen, irgendjemand wird sich schon kĂŒmmern.