Bemerkungen über Marc Elsbergs Thriller Blackout

Marc Elsbergs Katastrophen-Thriller Blackout – Morgen ist es zu spät erschien zu einem Augenblick, der uns unbedarften, sich in Sicherheit wiegenden Bürgern, die Augen für die Realität öffnete: Gezielte Hackerangriffe auf Industrieanlagen und staatliche Serverinfrastrukturen, die Stuxnet-Affäre und schließlich die Ereignisse rund um das japanische Kernkraftwerk Fukushima. Elsberg nahm die Folgen dieser Vorkommnisse in seinem Buch teilweise vorweg, obwohl er selbst, wie er im Nachwort schreibt, damals nicht an deren Eintrittswahrscheinlichkeit glaubte.

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Die Abhängigkeit unserer Zivilisation vom Strom ist nicht zu leugnen, unabhängig davon, ob von Privathaushalten oder Dienstleistungs- und Industrieunternehmen die Rede ist. Ohne Strom keine warme Mahlzeit, ohne Strom keine Lebensmittelproduktion. Ohne Strom keine funktionierende Toilettenspülung, ohne Strom keine ausreichende Kühlung in Kernkraftwerken. Eben diese Abhängigkeit macht Elsberg zum Thema seines Buchs. „Strom ist wie Blut im menschlichen Körper – beide müssen fließen, sonst bricht das jeweilige System zusammen“, legt der Autor einem seiner Protagonisten in den Mund.

Saukalt, kein Strom, was nun?

Was wäre, wenn der Strom im kalt-winterlichen Europa plötzlich flächendeckend ausfällt und sich trotz aller Bemühungen der Elektrizitätsversorger kein stabiles Netz errichten lässt? Genau das passiert in Elsbergs Szenario. Ein Hackerangriff auf italienische und schwedische Smart Meter, das sind intelligente Stromzähler, sorgt dafür, dass in einer Kaskadenreaktion die Frequenzen der Stromnetze instabil werden und Stadt für Stadt, Land für Land seine Stromversorgung verliert – und sich nicht mehr einschalten lässt. Mittendrin befindet sich der italienische IT-Berater und ehemaliger Hacker Piero Manzano, der den Hackerangriff entdeckt, zunächst bei den offiziellen Stellen aber kein Gehör findet. Auf eigene Faust begibt er sich von Mailand aus nach Brüssel, um dem Monitoring und Information Center der EU seine Erkenntnisse mitzuteilen, in der Hoffnung so zur Beendigung des Stromausfalls beizutragen. Allerdings stellen ihm die Verursacher des Blackouts eine Falle und Manzano gerät selbst in Verdacht und flieht. Gegen alle Widrigkeiten stellt er, zusammen mit einer amerikanischen Journalistin, den Terroristen nach und kann den europäischen Behörden helfen, die Angreifer dingfest zu machen. Unterdessen versinkt Europa im Chaos: Hungernde und frierende Menschen blockieren die Behörden und so manch einer nutzt die unter diesen Bedingungen herrschende, mangelnde Durchsetzungskraft des staatlichen Gewaltmonopols zu seinen eigenen Gunsten aus.

Sachlich fundiertes Szenario

Das von Elsberg entworfene Szenario ist weder an den Haaren herbeigezogen, noch völlig unrealistisch. Durch fundierte Recherche legt er die Vulnerabilität unser Infrastrukturen dar und fordert eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema, sowohl was die Sensibilisierung der Bevölkerung angeht, als auch was die politischen Vorkehrungen betrifft. Zeitgleich zu Elsbergs Recherchen entstand im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine wissenschaftliche Studie zur „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und lang andauernden Ausfalls der Stromversorgung“.1 Inhaltlich sind Roman und Studie fast identisch, weil beide die logischen Konsequenzen und Folgen dieses Ereignisses darlegen.

Elsberg erklärt technische Vorgänge, Probleme von Atomkraftwerken bei Stromausfall oder die Organisation der Katastrophenabwehr verständlich, vergisst dabei nicht, immer wieder auf reale Vorfälle zu verweisen. Er findet kritische Worte zur Liberalisierung des Strommarktes, ebenso wie zum Lobbyismus der Energieindustrie oder dem Umgang der Bevölkerung mit dem Thema Warnungen, dargelegt am Beispiel der Broschüre „Für den Notfall vorgesorgt“. Aspekte wie Sparen an sicherheitsrelevanter Technik des Profits wegen, das Behörden Klein-Klein und das Pochen auf Subsidiarität und Souveränität findet ebenfalls Erwähnung.

Wenn das Gewaltmonopol fehlt

Ohne Strom stehen die Exekutivorgane der Regierungen vor einem Problem: Sie können Ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen und dort, wo der Staat fehlt, springt der Mob ein. Plünderungen und Willkür, Schwarzmarkt und Gold- und Tauschwirtschaft halten Einzug. Mit zunehmender Dauer des Stromausfalls ergreift Panik die Bevölkerung und das Chaos steigt aus den Ruinen der vom Mob niedergebrannten Gebäude herauf. Der tägliche Gang zur Suppenküche oder dem Lebensmitteltransport verkommt zum Kampf auf Leben und Tod, während es auf den Straßen zugeht wie im Mittelalter: Wo keine Polizei ist, dort sind Überfälle an der Tagesordnung. Schließlich versinken die europäischen Städte in kriegsähnliche Zustände. Gänzlich unrealistisch ist das Abgleiten einer europäischen Gesellschaft in Anomie und Chaos nicht, nur ob dies in dieser Schnelligkeit und vor allem Drastik geschieht, darf durchaus diskutiert werden.

Die Angst, Opfer eines Cyberkriegs zu sein, hinter dem Russland und China stecken, weckt bei den Militärs Paranoia und die Forderung nach einem sofortigen Gegenschlag. Vertrauen schwindet rapide und Solidarität bröckelt schnell, wenn es um das eigene Überleben geht – da wird dann auch schon mal ausländische Hilfe abgelehnt.

Daneben schildert Elsberg handfest, dass analoge Technik, egal ob Funk oder Telefon, Vorteile haben, wenn es keinen Strom gibt. Einigen Szenen erinnern zudem an das 19. Jahrhundert, z.B. wenn der Bauer mit dem Pferdegespann Lebensmittel verkauft.

Zu viel des Guten

Allerdings schießt Elsberg in seiner Darstellung ein wenig übers Ziel hinaus und bemüht sich zu viele Aspekte in seinem Thriller abzubilden, seien es nun die zu Tausenden verendenden Milchkühe, Militärputsche, die Notwendigkeit aktiver Sterbehilfe, ebenso wie die Aushebung von Massengräbern für Strahlentote, infolge havarierter Atomkraftwerke. Auch die Darstellung der Polizei als Trottel, die es nicht schafft einen verletzten und kaum gehfähigen Manzano zu fassen, grenzt an Leserverdummung.

Inhaltliches Manko ist ferner die mangelhafte Darstellung der Ziele der Angreifer. Diese stellt er vereinfachend als abgrundtief diabolisch dar, auch wenn deren anarchistisches Theoriegebäude im Kern durchaus sozialökonomisch kritisch ist. Die langfristigen politischen, ökonomischen und finanziellen Folgen des Stromausfalls streift er dagegen nur am Rande. Dass sich mit dem Wiedereinschalten des Stromes nicht alle Probleme auf einen Schlag gelöst haben, stellt er ebenfalls anschaulich dar.

Sachlich top

Aus fachlicher Sicht ist der Thriller realistisch geschrieben – aus schriftstellerischer Perspektive fällt das Urteil ein wenig bescheidener aus. Elsbergs Thriller liest sich recht flott, dazu bei tragen kurze Kapitel, unkomplizierte Sprache und ein einfacher, aufzählungsartiger Satzbau. Andererseits trägt dieser Schreibstil zu einer hastigen Handlungslinie bei, die den Aufbau von Spannung konterkariert und auf einer deskriptiven Ebene verharrt, die die analytisch-kritische Schlüssigkeit vermissen lässt. Dies zeigt sich in platten, hölzern und nicht emotional wirkenden Dialogen, ebenso wie in blassen, stereotyp gezeichneten Charakteren, die es nicht schaffen eine emotionale Verbindung zum Leser herzustellen. Dies zeigt sich besonders in der Schilderung dramatischer Situationen, die scheinbar nebensächlich und textlich abgehackt Erwähnung finden, sich aber im Sinne einer gefühlsmäßigen Leserbindung positiv ausgewirkt hätten.

Hinzu kommt, dass die Handlung zwischen Thriller und dem Stil eines Sachbuchs hin- und herschwankt. Fundiert und sachlich korrekt stellt er z.B. das zweigeteilte Bevölkerungsschutzsystem der Bundesrepublik dar oder die Lükex-Übungen, zweifellos wäre diese Darstellung in einem Dialog besser aufgehoben gewesen. Eine packende Story sieht anders aus.

Einstieg für Unwissende

Der Handlungsaufbau ist wohl so ausgelegt, dass sich das Buch gut verfilmen lässt – immerhin sind die Filmrechte mittlerweile längst verkauft. Wer vorher nichts mit dem Thema Vulnerabilität kritischer Infrastrukturen, wirtschaftliche und technische Vernetzung sowie Resilienz gesellschaftlicher Systeme zu tun hatte, geschweige denn davon gehört hat, für den dürfte Blackout eine geeignete Basislektüre zum Einstieg in die Materie als auch zur Sensibilisierung darstellen. Kennern der Materie dürfte der oben erwähnte Bericht der Technikfolgen-Abschätzung dienlicher sein.

Bibliografische Daten

Marc Elsberg: Blackout: Morgen ist es zu spät. 1. Auflage, München: Blanvalet 2012, 799 Seiten, ISBN 978-3-7645-0445-8, EUR 19,99.

Fußnoten

1 Thomas Petermann, Harald Bradke, Arne Lüllmann, Maik Poetzsch, Ulrich Riehm: Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung. Endbericht zum TA-Projekt des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Arbeitsbericht Nr. 141, Berlin 2010.

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