St. Marys Fire Station (Wikipedia)

St. Marys Fire Station (Wikipedia)

Am 6. April 2010 wurde als zuständige Feuerwehr das Hampshire Fire Service zu einem Zimmebrand in einem Hochhaus in Southampton gerufen. Bei diesem Einsatz verstarben zwei Kameraden im Innenangriff, zwei weitere wurden verletzt.

Nun, drei Jahre später, wurde ein Untersuchungsbericht veröffentlicht, der hier als PDF zum herunterladen bereit steht.

Der Bericht hat es in sich. Leider bin ich mir als aussenstehender Beobachter, aber auch als aktiver Feuerwehrmann nicht ganz klar darüber, mit welcher Gewichtung zu schreiben ist. Unterm Strich sollte sich natürlich jeder seine Gedanken machen. Nachfolgend ein Versuch der Aufarbeitung:

Zunächst ganz allgemein. Nimmt man eine Feuerwehr-Publikation (egal aus welchem Land) zur Hand, kann man einiges über ganz grosse, erfolgreich abgewickelte Einsätze nachlesen. Industriehalle? Heikel, viele Leute, viel Wasser, alles gut. Soll um Himmels Willen die Arbeit der Beteiligten nicht abwerten. Aber meistens lernen wir „top level“ nicht viel daraus.

So ein Untersuchungsbericht ist Gold wert, denn man bekommt einen Einsatz, der nun mal nicht gut gelaufen ist, seziert vorgelegt. Man versucht, sich in allen Ebenen hinein zu versetzen: angefangen vom vorgehenden Trupp und dessen Entscheidungen, der Atemschutzüberwachung, der Einsatzführung, nur um einige zu nennen. Durch die vorliegende Dokumentation kann man schon einiges von dem, was da abgelaufen ist, erahnen.

Doch eines nach dem Anderen. Zunächst: die Namen der getöteten FA: Ff James David Shears, Ff Alan Iain Bannon, Trupp Red2, St. Marys Fire Station. Bitte als allererstes Seite 148 des Dokuments aufschlagen. Ehre Eurem Angedenken.

Und jetzt in loser Reihenfolge. Ab Seite 71 im Bericht kann man die zeitliche Abfolge des Einsatzes nachlesen. Ich kann mich an ganz wenigen Lektüren erinnern, die mehr Gänsehaut produziert hätten.

Wenn man es auf nur ganz wenige Punkte verdichten sollte:

  • 20:09 Einlauf der Meldung, Brand im 9.OG
  • 20:14 Erstes Fahrzeug an (per Handy)
  • 20:28 Trupp Red1 schliesst PA an
  • 20:31 Trupp Red2 (der später verunglückt) schliesst PA an
  • 20:40 Starke zunahme der Temperatur in der Brandwohnung gemeldet
  • 20:42 Red1 versucht zu flüchten (obere Fluchttür)
  • 20:44 Red1 entkommt der Brandwohnung
  • 21:00 Totmannwarner Bannon (Red2) löst aus
  • 21:06 kalkulierte Luftreserve Red2 abgelaufen (AÜ)
  • 21:06 „BA Emergency“ (PA-Notfall) ausgelöst
  • 21:34 Bannon lokalisiert
  • 21:37 Shears lokalisiert
  • usw…

Man beachte die Zeiten. Ob Tübingen, Göttingen, oder andere: was auffällt, ist das alles so ziemlich lange dauert. Das Verbringen nach Außen erfolgt weit jenseits der Überlebenschance.

Und nun eine völlig subjektive Analyse. Wo anfangen? Worauf kommt es an?

Der Bericht offenbart viele Fehler bzw. Lücken im System, aber auch Fehlentscheidungen auf jeder Ebene. Es ist immer so ein feiner Grat, Verfehlungen eines Systems und von Einzelnen zu trennen.

Was generell schwierig ist: Feuerwehr ist nunmal dafür da, wenn alle Systeme versagen, die ein Problem verhindern sollen. Ob Verbau im Tiefbau oder vorbeugender Brandschutz…

Natürlich braucht eine Feuerwehr einen Rahmen, der aus Vorschriften, Ausbildung, Technik usw. besteht. und so muss einiges reguliert werden. Die Gefahr: reguliert man zuviel, so verschwindet die Bereitschaft zu kreativität oder handeln ausserhalb der Normalität. Das ist eine ganz feine Grenze. Überregulierung ist falsch, genauso falsch ist es, nicht auszubilden, und auszustatten.

Was ist also bei diesem Einsatz  – für mich! – relevant?

Zunächst die Brandwohnung. Ein Hochhaus mit ganz, ganz fiesen Wohnungen. Denn diese verteilen sich über drei Stockwerke: man betritt den Eingang, danach geht es entweder zwei Ebenen nach unten oder nach oben. Klein, verwinkelt und gemein. So hat die Feuerwehr nach einem vorhergehenden Einsatz Schilder anbringen lassen, ob die jeweilige Wohnung „nach unten“ oder „nach oben“ geht. Die Schilder übrigens ganz oben an der Tür, wo wie vom Rauch schön verdeckt werden. Wieder was gelernt.

Wie hat sich der Einsatz aus der Sicht der zwei ersten Trupps abgespielt? Trupp 1 (Red1) Schliesst an der Steigleitung an und geht in die Brandwohnung. Vorgabe ist „rechts halten“, also am Brandherd vorbei und die Treppe hoch. Trupp 2 (Red2) hat zu tief angeschlossen (5. Stock), die Leitung reicht nicht aus, Auftrag ist, Red1 beim Schlauchverlegen zu unterstützen.

Beide Trupps am Brand vorbei, nach oben, und plötzlich wird’s heiss. So heiss, dass Leitungen von der Decke runterkommen. Red1 kann sich gerade noch retten. 20:44.

Ich glaube, am Verhalten des Trupps Red1 hängt der Ausgang der gesamten Situation. Man war sich über eine Suche „Rechts“ einig. Rechts ist aber eine Treppe – bevor diese Ebene abgesucht wurde, ging der Trupp bereits am Feuer vorbei nach oben. Es wurde auf den Einsatz der Wärmebildkamera verzichtet. Warum, geht leider nicht aus dem Bericht hervor.

Ich war nicht dort. Ich stelle dieses Vorgehen nicht in Frage. Ich weiss nicht, ob der Trupp trotz der WBK anders entschieden hätte.

Doch damit war der Einsatz zum Misserfolg verdammt. Nichts, aber auch gar nichts hätte diese Leben retten können – nicht die beste AÜ, nicht die beste Einsatzleitung, Führung, Kommunikation, hätte das rückgängig gemacht. Ob das Fehlen des Trupps 20 Minuten früher festgestellt worden wäre, das hätte keinen Unterschied am Ausgang gemacht. Das ist meine Meinung.

Ein Paar Punkte bleiben dennoch. Ohne Gewichtung und in loser Reihenfolge:

Der Grundriss der Wohnung ist Scheisse, kacke, beschissen. Klein, über drei Ebenen. Das ganze Haus so. Dass da Missverständnisse bzgl. der gemeinten Ebene auftauchen, ist wohl kaum zu verhindern. Möge die Beschilderung, möge alles so klar sein – im Einsatz ist das wieder etwas anderes.

Liest man sich Unfallberichte durch, so ist immer wieder erstaunlich, wie wenig Raum eigentlich notwendig ist, um Verwirrung zu schaffen.

Der VB hat wohl versagt. Über-Putz-Elektrokabel, in die sich die FA verfangen? Nicht gut. Alles in Plastik verpackt, aber bei ein Paar Grad Celsius hängt alles von der Decke und wird erwiesermassen zur Todesfalle. Bei uns auch möglich? Zwei Schlüsse: Schneidgerät mitführen (bei uns hoffentlich Pflicht) und die Frage, ob eine WBK diese Kabel anzeigen kann? Wäre spannend herauszufinden.

Das im Ganzen die wirklich kritischen Punkte. Ansonsten:

Das mit den Kabeln. Der Hampshire Fire Service hat eine Art „Brücke“ zwischen Gestell und Flasche eingeführt, die ein Verfangen von Kabeln verhindern soll. Hier würde ich gerne Bilder sehen.

Ganz heikle Kiste: Eine Ventilation, ob passiv oder aktiv, sollte mit der Einsatzleitung abgesprochen sein. Es ist ein Unterschied, ob man auf einem Stockwerk eine Belüftung aufbaut um Überdruck zu erzeugen (hier wohl bedingt erfolgreich im 11. OG geschehen) oder unter Stress in der Brandwohnung Fenster einschlägt. In letzterem Fall sehe ich das Einholen einer Erlaubnis bzw. ein Abstimmen mit der EL als kritisch an.

Indoktrinierung? In diesem Fall waren die vorgehenden Trupps frustriert, da die Impuls-Rauchgaskühlung nicht viel brachte. Generell (meine Meinung) will das Nasse aufs Heisse, und ein wenig Big Water auf das Feuer ist unter bestimmten Umständen zielführender als versuchen die Abgase zu kühlen. Zumal man damit am Feuer null ausruchtet.

Ganz interessant ist die Nomenklatur für vorgehende Trupps. Hier gilt nicht „Fahrzeug / Trupp / Nummer“ sondern eine allgemeine Numerierung Red1-RedX. Vorteil, jeder Trupp hat einen eigenen, unverwechselbaren Namen. Erfordert allerdings einiges an Logistik, vor Allem, wo Namen und Trupps hinterlegt sind. Erfordert auch eine andere Lageführung, insbesondere auch AÜ. Letztere war in diesem Fall auch nicht ganz optimal.

Als der Standort des verunglückten Trupps klar war, bewegte sich der Rettungstrupp am ungedeckten Feuer vorbei. Dieses ist eine völlig natürliche Reaktion, und keine Regularien dieser Welt werden das ändern können.

Fazit

Die Liste könnte man fortführen. Muss man aber nicht. Was hier so problematisch ist: hinterher kann man alles auf Tatsachen herunterbrechen. Was hier ausser Acht gelassen wird: das Subjektive. Geht aber nicht anders,  weil: wie soll das bewertet werden? Es werden (fehl-)Entscheidungen getroffen, aber in diesem Moment muss sie jemand treffen, und gerade in der Chaos-Phase arbeitet man auf Verdacht, und entscheidet ensprechend. In 99% der Fälle geht das gut. In einem Prozent halt nicht, und leider muss dann alles dokumentiert sein.

Was aber Red2 in dieser Wohnung entschieden hat, werden wir nie erfahren. Das gehört (leider) zum Feuerwehr-Dasein dazu.

James Shears und Alan Bannon, danke für Euren Einsatz.