Eine Kolumne von Stefan Cimander

„Papa, was ist mit mir, wenn Du zur Feuerwehr musst?“, fragte mich die jüngere Tochter neulich abends mit leichter Panik, als ich mit ihr alleine zu Hause war und wir gerade ein Buch zusammen anschauten, bevor sie zu Bett ging. „Ich lasse Dich nicht alleine“ antwortete ich. Sie wiederholte ihre Frage, weil sie der festen Überzeugung war, dass ich gehen müsse, wenn der Funkmeldeempfänger seine Tonfolge abspielt. Immerhin hat sie in der Vergangenheit mitbekommen, dass ich beim Ertönen derselben schnell die Wohnung verlasse. Diesen Zusammenhang stellte sie für sich nicht her, sondern malte angsterfüllt das Bild an die Wand, sie sei plötzlich allein zu Hause. Nach mehrfachem Wiederholen meiner Aussage, dass ich, wenn ich mit ihr allein zu Hause bin, nicht weggehe, begnügte sie sich mit meiner Zusage.

Herstellen komplexer Zusammenhänge

Mich erstaunte zum einen die Tatsache, dass sie urplötzlich und ohne vorherigen Anlass eine derartige Frage stellte, zum anderen, dass sie den komplexen Zusammenhang zwischen dem Alarmieren und dem Weggehen herstellt und auf ihre Situation überträgt. Obwohl noch nicht eine halbe Dekade alt, sollten Erwachsene ihren Nachwuchs nicht unterschätzen, was das Herstellen von Zusammenhängen und das Aufkommen von Ängsten angeht.

Dienstpflicht versus Aufsichtspflicht

Für mich ist dieser Kontext Anlass eine Frage zu klären, die innerhalb der Feuerwehr gerne für Streit mit der Führung sorgt und bei Kameraden zu „blödem Geschwätz“ führt. Mit welchem Recht darf ich meine Dienstpflicht verweigern, wenn ich auf mein Kind aufpasse?[1]

Da ich im Südosten bzw. südlichen Grenzgebiet Baden-Württembergs beheimatet bin, kläre ich diese Frage anhand des Feuerwehgesetzes (FwG) des Landes Baden-Württemberg.[2]

Die Alarmierung ist eine Anordnung zum Dienst. Die Pflicht des aktiven Feuerwehrangehörenden ist es dieser Anordnung unmittelbar Folge zu leisten. „Die ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Gemeindefeuerwehr sind verpflichtet … bei Alarm sich unverzüglich zum Dienst einzufinden“, heißt es da.[3] Wenn mir das nicht möglich ist, sieht das Gesetz vor: „Aus beruflichen, gesundheitlichen, familiären oder persönlichen Gründen kann ein ehrenamtlich tätiger Angehöriger der Gemeindefeuerwehr auf Antrag vom Feuerwehrkommandanten vorübergehend von Dienstpflichten nach Absatz 1 Nummern 1 und 2 befreit werden.“[4]

Nehme ich das Gesetz wörtlich, beantrage ich jedes Mal, wenn ich auf mein Kind aufpasse, beim Kommandanten ad hoc die Aufhebung der Dienstpflicht. Ich stelle mir gerade bildlich vor, wie der Leiter der Feuerwehr bzw. der zuständige Abteilungsführer reagiert, wenn ich nach Feierabend regelmäßig kurz anrufe und die Sachlage darlege.

Schließt Familie Feuerwehr aus?

Praktikabel ist dieser Weg nicht, weshalb sich der FA (SB) eingestehen müsste, dauerhaft nicht uneingeschränkt seinen Pflichten nachkommen zu können. Die Folgen des Verstoßes beschreibt das FwG: Diese reichen von der Geldbuße bis hin zum Ausschluss.[5] Konsequenterweise müsste sich der Feuerwehrangehörende, wenn Kinder oder sonstige Pflegebedürftige zu betreuen sind, aus der Feuerwehr verabschieden,[6] weil sie oder er seinen/ihren Dienstpflichten nicht nachkommt.

Würde der Träger der Feuerwehr den Text des Gesetzes wortwörtlich durchziehen, besäße die freiwillige Feuerwehr bald keine Mitglieder mehr. Glücklicherweise gibt es zu jedem Gesetz nähere Informationen, in denen die Paragrafen und ihr Inhalt analysiert bzw. die Beweggründe dargelegt werden.

Vorrang bei Pflichtenkollisionen

Bei Pflichtenkollisionen, wie z. B. im Fall der Aufsicht über ein Kind, „hat der Feuerwehrangehörige zu prüfen, ob der Zustand der von ihm zu beaufsichtigen bzw. betreuenden Person deren Verlassen wegen des Einsatzdienstes zulässt.“[7] Trifft das nicht zu, also „wenn Menschen in Gesundheits- oder gar Lebensgefahr kommen können, wenn sie sonst unbetreut oder unbeaufsichtigt blieben“[8], hat die Betreuungs- oder Aufsichtspflicht Vorrang. Diese Auffassung in den Kommentaren zum Landesfeuerwehrgesetz BW wurde seitens des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg ebenfalls bestätigt.[9]

In Bezug auf die Betreuung von Kindern hilft ebenso ein Blick in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Dort heißt es: „Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge)“[10] und „Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“[11]

Das Kind geht vor

Kurzum habe ich minderjährige Kinder, hat deren Aufsicht Vorrang vor einem Einsatz (und anderen Diensten) – auch wenn Führung und Kameraden das bisweilen anders sehen. Aus welchen Rechtsquellen die zitierten Kommentare zum Landesfeuerwehrgesetz Baden-Württemberg den Vorrang bestimmter Pflichten herleiten, bleibt an dieser Stelle erst mal offen. Wichtig für den Feuerwehrangehörenden ist aber, dass er sich auf eben diese Kommentare beziehen darf und soll. Soweit kommt es hoffentlich nicht, weil bei jeder verantwortungsbewussten Führungskraft der GMV greifen sollte, es sei denn, der nächste Einsatz soll provoziert werden.

Fußnoten

[1] Vgl. Stefan Cimander: Von den zwei Familien. In: Feuerwehr Weblog vom 03.01.2017, zuletzt abgerufen am 13.05.2019. https://www.feuerwehr-weblog.org/2017/01/03/von-den-zwei-familien/

[2] FwG BW in der Fassung vom 2. März 2010 mit Änderung durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2015 (GBl. S. 1184)

[3] FwG §14, Abs. 1, Nr. 2

[4] FwG §14, Abs. 3

[5] FwG §14, Abs. 1, Nr. 2, Abs. 5

[6] FwG §13, Abs. 2, Nr. 2

[7] Armin Ernst: Feuerwehrgesetz für Baden-Württemberg. Praxiskommentar mit Landeskatastrophenschutzgesetz und Feuerwehrmustersatzung, Verlag 9., überarbeitete Auflage, Stuttgart: Richard Boorberg Verlag 2018, S. 179.

[8] Gerhard Hildinger, Andrea Rosenauer: Feuerwehrgesetz Baden-Württemberg, 3. Auflage, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2011, S. 156.

[9] Schriftliche Nachfrage des Autors beim Referat Recht des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg

[10] BGB §1626, Abs. 1, S. 1

[11] BGB 1631, Abs. 1