Touché, möchte man da sagen. Spiegel Online berichtet in einem Artikel über den Einsatzfahrtensimulator der Hamburger Polizei. In einem Selbstversuch klettert der Reporter selbst in den Simulator … und es kracht. Gänzlich unbekannt ist mir dieses Ereignis nicht, denn vor Jahren – es ist wirklich bald ein Jahrzehnt her – bin ich in fast demselben Simulator während einer Feuerwehrmesse gesessen … und es krachte gleich mehrfach.

Der Einsatzfahrtsimulator von IFE Systems soll Sonderrechtsfahrer sensibilisieren. Bild:fwnetz/sc

Der Einsatzfahrtsimulator von IFE Systems soll Sonderrechtsfahrer sensibilisieren. Bild: fwnetz.de/sc

Damals Novum, sind Fahrsimulatoren heute Stand der Ausbildung. Da der Link auf meinen Bericht im fwnetz.de nichts anzeigt (leider scheint die Seite des Artikels kaputt zu sein; Link über die Wayback-Maschine), veröffentliche ich den damaligen Bericht bzw. Selbstversuch einfach erneut an dieser Stelle. Bilder und Videos des damaligen Artikels habe ich aktuell nicht zur Hand, zumindest müsste ich mal daheim in meinem Archiv nachschauen und ggf. nachreichen.

Zusatzausbildung: Einsatzfahrt mit Sonderrecht (mit Video)

Veröffentlicht am 22. September 2008 von Stefan Cimander

Einsatzfahrten mit Sonderrechten sind risikoreich: Die Statistik weist u.a. ein vierfaches Risiko für einen Unfall mit tödlichem Ausgang im Vergleich zu einer Fahrt ohne Sonderrechte aus.[i] Fahrsicherheitstraining ist eine Maßnahme die Handlungssicherheit der Fahrer zu erhöhen, es ersetzt aber nicht die Stresssituation einer Einsatzfahrt! An dieser Stelle setzt IFE Systems mit einem neuen Konzept zum simulativen Fahrtraining – dem Sondersignalfahrt-Trainer SFT – an.

Noch ist die Fahrt einfach. Ich starte auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums und fahre gemütlich an, warte an einem Kreuzungsbereich und setze meinen Weg fort. Ich schaue links, ich schaue rechts, zwischendurch ein Blick in die Seitenspiegel Dann plötzlich schaltet sich das Tonfolgehorn ein und der „Stress“ beginnt. Ein Pfeil zeigt mir, in welche Richtung ich fahren muss. Andere Verkehrsteilnehmer reagieren auf das herannahende Einsatzfahrzeug, und halten oder fahren rechts an. Und dann passiert ist: Ich habe den Gegenverkehr vergessen und bin zu weit links gefahren. Im letzten Moment kann ich eine Kollision verhindern und drehe das Lenkrad nach rechts.

Grundgedanke des Simulators ist dem Fahrer einen Eindruck über die Gefahren einer Einsatzfahrt zu vermitteln, die in der Stresssituation entstehen. In der Realität kommt es bei Sonderrechtsfahrten oft zu einem „Tunnelblick“, d.h. der Fahrer des Sondersignalfahrzeuges blickt starr geradeaus, und nimmt die Verkehrsszenen im linken, rechten und rückwärtigen Teil des Fahrzeuges nicht mehr wahr. Dieses psychologische Moment entsteht durch die Konzentration auf das Ziel der Sonderrechtsfahrt, sei es die Rettung eines Menschen oder eine andere Art der Hilfeleistung, die den Verkehr ausblendet. Das Simulationstraining will genau diese psychologische Reaktion des Menschen bewusst machen. Dabei soll die Konzentration auf den Verkehr, die Früherkennung von gefährlichen Verkehrssituationen und die Handlungssicherheit unter Stress trainiert werden.

Der Clou ist folgender: Solange der Fahrer ohne Sonderrechte fährt, verhalten sich die Verkehrsteilnehmer in der Simulation normal, wird jedoch das Tonfolgehorn zugeschaltet – der Benutzer hört dieses, wie in einer echten Einsatzfahrt auch –, passt sich das Verhalten der Simulation an die neue Situation an. Die Simulation zeigt verschiedene Situation auf, wie zum Beispiel Überholmanöver und Vorbeifahren unter verschiedenen Sichtbedingungen, Gassenbildung in unterschiedlichen Verkehrssituationen, Annähern und Überqueren von Kreuzungen mit unterschiedlichen Vorfahrtsregelungen und plötzliche Ereignisse.

„Man kann auch alte Hasen ins Schwitzen bringen“, betont Nicole Speetzen, Projektmanager bei IFE Systems, und just in diesem Moment fährt ein langjähriger Rettungswagenfahrer das Einsatzfahrzeug gegen eine Laterne. Wer glaubt, er beherrsche qua langjähriger Erfahrung alle Verkehrssituationen, wird bei der Fahrtsimulation eines Besseren belehrt.

Das simulationsgestütztes Verhaltenstraining soll dabei aber keinen Ersatz für das Führerschein- oder Fahrsicherheitstraining sein, sondern versteht sich als Zusatzausbildung, darauf weist Nicole Speetzen explizit hin. Der pädagogische Effekt wird durch die nachträgliche Auswertung der Simulationsfahrt gesteigert. Dazu kann die Fahrt als AVI-File gespeichert werden.

Die etwa eineinhalb Jahre alte Entwicklung läuft seit drei Monaten mit einer neuen Software, die sich dem Verhalten des Fahrers noch besser anpasst, aber auch die Simulation komplexer werden lässt. Bis jetzt stehen fünfzig Möglichkeiten – Softwaremodule – unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade zur Verfügung, die in der Simulation nahtlos aneinander gerechnet werden. Zudem kann sich der Kunde seine Bausteine individuell zusammenstellen.

Um sich an den Simulator zu gewöhnen, empfiehlt der Hersteller ca. 10 Minuten „zu fahren“. Eine Nebenwirkung der Simulationsfahrt kann Schwindel oder Übelkeit sein, die durch die ungewohnte Optik hervorgerufen wird und in der Wirkung auf die Augen an ein 360°-Kino errinert.

Hintergrund der Entwicklung ist ein großer Fahrsimulator der Polizei in Sulzbach, der jedoch teuer und stationär ist. Hier setzte IFE Systems. Zum einen wollte das kleine Entwicklerteam eine günstige Lösung anbieten, zum anderen sollte der Simulator portabel und in kurzer Zeit zu rüsten sein. Dabei liegt das Augenmerk auf der psychologischen Komponente, weniger auf der realistischen Autofahrbewegung, die im Gegensatz zu Flug- und Schiffsimulationen technisch kaum simulierbar ist. Unterstützt wurde IFE Systems dabei durch das WIVW.

Der Kaufpreis wird mit etwa 150.000 Euro angegeben, aber es kommen, so Nicole Speetzen, auch Leasing- oder Mietvarianten für interessierte Kunden in Frage. Auf der Fachmesse FLORIAN erhielt die Firma hohen Zuspruch. „Die haben uns die Bude eingerannt“, erzählt Nicole Speetzen. Das hohe Interesse liege, so Speetzen, an dem großen Bedarf der aufgrund von Problemen mit der Versicherung besteht.

Getestet wurde der Simulator von der Polizei in Sachsen – zwar mit der alten Softwareversion -, dennoch war der Tenor der Probanden durchweg positiv, sodass sowohl das Innenministerium Sachsen, als auch die Deutsche Polizeigewerkschaft das Training empfehlen. Der Feldtest in Sachsen bestätigte die Eignung für Aus- und Weiterbildung.

 


[i] Statistik nach Angaben der Hochschule der Sächsischen Polizei