Eine Kurzgeschichte, inspiriert durch die Übernahme von Nest Labs durch Google
(sc). „Piiiieeeeeepppp Piiiiieeeeeppp Piiiiieeeeeppp!“ Ein markerschütternder, lästiger, hoher Piepton ließ mich aus dem Bett fahren. Ein Ton, der selbst Hunde in den Wahnsinn treiben würde. Augen auf. Dunkel. Kein Licht. Nichts zu sehen. Große Verwirrung erfasste mich. Wo bin ich? Was mache ich hier? Ein kurzer Blick in das dunkle Zimmer, links, rechts, oben, unten, bestätigte meine unterbewusste Vermutung, ich lag doch nicht im Sand, das beruhigende Rauschen des Meeres in den Ohren. Kein Urlaub. Keine Sonne. Kein Ausspannen. Tschüß angenehmer Traum, willkommen in der Realität.
„Piiiieeeeeepppp Piiiiieeeeeppp Piiiiieeeeeppp!“ Aufrecht im Bett sitzend, die mollige Wärme der Bettdecke einbüßend, wehrte sich mein Trommelfell mit aller Macht gegen den schallenden Gesang der maschinellen Musikinterpretation. Was dröhnt derart nervtötend? Was reißt mich mit diesem prahlerischen Klang aus dem Schlaf? Was tanzt mir da gellenend, mit schrillen Hall im Ohr herum? Ich warf die Bettdecke in hohem Bogen zurück, eine Kältewelle erfasste meine nackten Füße. Statt im warmen Sandstrand zu baden, schwang ich meine Füße auf den kalte Oberfläche meines Parkettbodens. Vorsichtig tastete ich mich durch das Zimmer. Wie ein Blinder forderte ich meine Sinne heraus. Wie eine Fledermaus wollte ich der mir in den Weg stellenden Gegenstände Gewahr werden. „Piiiieeeeeepppp Piiiiieeeeeppp Piiiiieeeeeppp!“ Angesichts der Umstände, der lückenlosen Wiedergabe elektronischer Klangkunst, wollte, ja, konnte das nicht gelingen. Schließlich ist ein Mensch keine Fledermaus. „Autsch!“ schrie ich auf, den ohrenbetäubenden, autodynamischen Rhythmus der Lautmaschine fast übertönend. Für meinen Kleiderschrank stand jetzt es eins zu null. In der Finsternis des Schlafraumes tat ich einen halben Schritt zu weit nach rechts und mein kleiner Zeh, konnte sich der massigen Übermacht des Möbelstücks nicht erwehren und Zog den Kürzeren. Endlich wach, durch Schmerzen in den Ohren und im Zeh begab ich mich schnellen Schrittes in Richtung der Geräuschquelle, die sich im Flur etwa siebzig Zentimeter über meinem Kopf befand. Der Rauchmelder hatte angeschlagen.
„Piiiieeeeeepppp Piiiiieeeeeppp Piiiiieeeeeppp!“ Während ich um mich selbst kreiste, ein auslösendes Ereignis suchend, sog ich intensiv die Luft ein, konnte aber weder ein orange-rotes Flackern, noch den Geruch von etwas Verbranntem aufspüren. Weshalb zum Teufel piepte mich der Rauchmelder aus dem Bett? Es ist ja nicht so, dass Schlaf nur etwas für Turnbeutelschwinger ist? „Licht“ hieß ich mein vernetztes Heim an. Bedächtig stieg die Helligkeit im Flur, die Anpassung meiner Augen an die Photonenemission abwartend, an, bis zu dem Punkt optimaler Ausleuchtung.
Ich stellte mich direkt unter das Geräte. „Bericht“ wies ich den runden Detektor an. Einige Sekunden fixierte mich die eingebaute Kamera, scannte mein verknautschtes Gesicht und prüfte meine Silhouette mit dem in der Datenbank hinterlegten Vergleichsbild. „Zugang gestattet“ ertönte, eine sanfte, weibliche Stimme, deren Melodie mich an ganz andere Dinge denken ließ, als die Suche nach dem verursachenden Ereignis. Mein Heimnetzwerk hatte mich erkannte, nun hatte ich Zugang zur Steuerung und den Log-Dateien. Vor meinen Augen baute sich eine digitale Projektion auf, das Äquivalent zum Display vergangener Tage.
Doch bevor ich Gelegenheit hatte, die Ursache dieser nächtlichen Nötigung zu erforschen, poppte ein Informationsfenster meines Heimnetzwerksherstellers auf. Sonne, Sommer, Strand und eine bezaubernde, verführerische und reizvolle junge Frau im Tankini lächelte mir zu, zeigte ihre blanken, makellosen weißen Zähne. „Hallo“ hauchte mir Miss Sexy entgegen. Ihr leichter französischer Akzent tat das, was er sollte, er zog mich nun vollends in den Bann dieser Schönheit. „Möchtest Du mich nicht besuchen kommen? Hier ist es so schön warm. Keine Arbeit. Kein tristes Wetter. Wohlfühlatmosphäre pur. Buche jetzt sofort Deinen Trip nach Südfrankreich. Mein Blitzangebot gilt nur noch vier Minuten und fünundfünzig Sekunden.“
Verdattert, total perplex blickte ich in diese hypnotischen, blauen Augen, meine Blicke glitten an ihrem perfekten, verführerischen Körper hinab, dorthin, wo die weiblichen Argumente die restliche Gehirnaktivität alleinstehender junger Männer vollends aussetzen ließ. „Willst Du immer noch nicht zu mir kommen?“ Während sie das sagte, strich sie mit ihrer Hand über Busen, Bauch hinab in ihren Schoß. Wie in Trance erwartete ich nun, was als nächstes kommen sollte. „Mein Angebot endet in drei Minuten und dreiundzwanzig Sekunden“. Im Rausch meiner Triebe war ich drauf und dran das Angebot anzunehmen, egal, was es kostet, egal wann, egal wohin.
Im letzten Moment gelang es mir Herr über meine Erregung zu werden. „Schließe Werbung“ brach es stockend aus mir hervor, „Öffne Log-Dateien. Zeige mir auslösenden Anlass für Alarm.“ Miss Sexy verschwand ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war, ersetzt durch die nüchterne, sachliche Oberfläche des OS. „Quelle gefunden“ flötete mir Seven of Nine, so der Name meines Alias für das Heimnetzwerk freundlich, aber bestimmt entgegen. „Die Analyse Deines Kalenders ergab das Ergebnis, dass Dein Jahresurlaub bevorsteht. In Verbindung mit den gespeicherten Suchanfragen über Urlaub an der französischen Mittelmeerküste sowie den Präferenzen für attraktive, blonde Damen, konnte ich eine achtundneunzigprozentige Wahrscheinlichkeit errechen, dass diese Blitzangebot von Interesse für Dich sein könnte.“
Sprachlos und fassungslos blaffte ich Seven of Nine an „Hast Du eine Ahnung, wie viel Uhr es ist?“ „Es ist drei Uhr siebenundvierzig“ tönte es mir routiniert entgegen. „Eben! Um diese Uhrzeit schlafe ich für gewöhnlich“ antwortete ich sarkastisch, „was veranlasste Dich zur Auslösung des Feuerrauchmelders?“ Fuhr ich gereizt fort. „Es gab keine andere Möglichkeit Dich zu wecken und auf das schnell ablaufende Blitzangebot aufmerksam zu machen“ erklärte mir eine jetzt sachliche, auf meine Laune angepasste Tonlage. „Seven, der Rauchmelder ist ein Warngerät, das nur ausgelöst werden soll, wenn es zu einem Notfall kommt. Und Werbung ist kein Notfall“ erläuterte ich. „Negativ. Laut Lizenzbedingungen des Herstellers und dem von Dir erlaubten Zugriff auf die Hardwaresteuerung aller im Netzwerk befindlichen Geräte, darf Google Dir zu jeder Zeit, an jedem Ort und mittels jeden Geräts für Dich passende Werbung einblenden, abspielen und erklingen lassen.“
Bumms. Das saß. Ich hatte von Beginn an geahnt, dass sich die Vernetzung aller Geräte in meinem Haushalt mit dem System von Google rächen würde. Plötzlich ertönte der Gong meiner Klingelanlage. „Kanal auf“ befahl ich. Vor meinem Auge baute sich das Bild eines Mannes, Mitte vierzig, mit Helm und schwarzer Kutte auf. „Wie kann ich helfen“ fragte ich, „wiesen Sie eigentlich, wie viel Uhr es ist?“ „Das weiß ich. Ihr Rauchmelder hat einen Feueralarm ausgelöst. Ich bin ihr, um zu überprüfen, ob Sie Hilfe benötigen?“ sprach der Mann mit seinem Bariton. „Ich brauche keine Hilfe“, bedeutete ich „mein Rauchwarnmelder hat wegen eines Softwarefehlers fälschlicherweise ausgelöst.“ Der Mann in schwarz mit den gelben Reflexstreifen dachte kurz nach, offenbar lauschte er in sein Headset, weitere Anweisungen erwartend. „Verstanden. Wir rücken ab. Unser System hat den Vorfall bestätigt. Ich lasse Ihnen einen Prospekt über Urlaube in Südfrankreich da. Übertragung beginnt. Gute Nacht.“
„Aber …“, wollte ich fragen, das Videophon hatte sich aber schon geschlossen, und vor meinem Auge erschien erneut eine junge Frau, die mir mit hauchender Stimme einen Urlaub in ihrem kleinen Fischerdorf schmackhaft machen wollte. „Seven“ fragte ich, „was zur Hölle sollte das?“ „Hölle ist zwar ein durchaus passender Begriff zur Beschreibung der Aufgaben der Feuerwehr, ist in diesem Zusammenhang aber unangemessen. Die Feuerwehr finanziert sich durch Werbung, seitdem die Gemeinden ihr finanzielles Engagement zurückgefahren haben.“ Miss Sexys letzter Satz, bevor die Werbung zuklappte war „Mit freundlichen Grüßen Ihre Feuerwehr.“
Anmerkung des Autors: Diese Kurzgeschichte entstand spontan, nachdem der Autor Kentnnis von Google neuestem Projekt bekam.