Am 25. Juli 2008 stĂŒrzt die 44-jĂ€hrige RechtsanwĂ€ltin Alison Hume gegen Mitternacht nahe ihres Hauses im schottischen Galston 14m tief in den Schacht eines alten Bergwerks. Sie erleidet schwere Brustverletzungen, die jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht akut lebensbedrohlich sind.

Etwa zwei Stunden spĂ€ter findet ihre Tochter die zwischenzeitlich Vermisste und wĂ€hlt den Notruf. Eine Stunde spĂ€ter seilt sich ein Feuerwehrmann des Strathclyde Fire and Rescue Services zu der Verletzen ab, um deren Gesundheitszustand zu erkunden. Seine Kollegen bereiten im spĂ€teren Verlauf eine Rettung mittels Schleifkorbtrage (rescue stretcher) und mehreren GerĂ€tesĂ€tzen Absturzsicherung („SWAH-equipment“ – ich tippe mal, da gehört auch noch eine Art Auf-/AbseilgerĂ€t zu) vor.

Dann kommt es zum Streit: Gegen vier Uhr untersagt der den Einsatz ĂŒbernehmende Commander den Rettungsversuch und weist die Feuerwehrleute an, die AusrĂŒstung abzulegen und abzuwarten. Hintergrund ist eine Weisung des Feuerwehrkommandos, die die Benutzung der Absturzsicherung nur fĂŒr Feuerwehrleute zulĂ€sst, und eine Rettung von Zivilisten damit ausdrĂŒcklich untersagt.

Erst fĂŒnf Stunden nach dem Eintreffen der Feuerwehr wird Alison Hume von der Bergrettung aus dem Schacht gerettet. Mittlerweile ist sie durch langes Liegen im eiskalten Wasser massiv unterkĂŒhlt und in einem kritischen Zustand. Sie erleidet wĂ€hrend der Rettung einen Herzstillstand und wird wenig spĂ€ter im Krankenhaus fĂŒr tot erklĂ€rt.

Schnell werden die UmstĂ€nde der missglĂŒckten Rettung öffentlich, bis heute schlĂ€gt der Fall in Großbritannien hohe Wellen: Feuerwehrleute beschweren sich ĂŒber Bevormundung durch „irrwitzige UnfallverhĂŒtungsvorschriften“, eine lange Diskussion ĂŒber „Sicherhysterie“ und „Risikoscheu“ bei der Feuerwehr schließt sich an:

„Current health and safety rules were having the cumulative effect of putting firefighters in a position where they are more fearful of the legislation than they are of risking their lives.“

„Die aktuellen UnfallverhĂŒtungsvorschriften bringen Feuerwehrleute im Endeffekt in eine Situation, in der sie mehr Angst vor rechtlichen Konsequenzen als vor dem Risiko fĂŒr das eigene Leben haben.“

Brian Sweeney, Strathclyde’s fire chief

Eine Feststellung, die sicher viele Feuerwehrleute in Deutschland im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen auch unterschreiben wĂŒrden.

„If firemen and police officers are instructed to stand and watch us die, rather than improvise or intervene, the implication is that our survival is dependent on an individual at the scene being willing to step in and break the rules.“

„Wenn Feuerwehrleute und Polizisten angewiesen werden, uns tatenlos beim Sterben zu zusehen anstatt zu improvisieren oder einzugreifen, hĂ€ngt unser Leben davon ab, dass jemand am Einsatzort ist, der gewillt ist, einzugreifen und die Regeln zu brechen.“

Louise Turnbull,  Spiked Magazine

Vor wenigen Wochen erscheint schließlich der Abschlussbericht zum Unfallursachenermittlungsverfahren (fatal accident inquiry). Ganz kurz zusammenfassen lĂ€sst er sich so: HĂ€tte die Feuerwehr richtig gehandelt, könnte Alison Hume heute eventuell noch leben.

Man muss wohl kein Pessimist sein, um festzustellen, dass sich dieser Vorfall so auch in Deutschland hĂ€tte ereignen können. Oft lĂ€sst der Vorschriftendschungel hier bei genauen Hinsehen sogar einen legalen Ausweg in solchen Situationen („Im Einzelfall kann bei EinsĂ€tzen zur Rettung von Menschenleben von den Bestimmungen der UnfallverhĂŒtungsvorschriften abgewichen werden.“ aus der UVV Feuerwehr dĂŒrfte den meisten bekannt sein), trotzdem sorgt er durch seine KomplexitĂ€t und Fallstricke  immer wieder fĂŒr eine große Verunsicherung und auch zahlreiche Legenden bei den EinsatzkrĂ€ften.

Man kann nur wohl hoffen, dass einem selbst und den Vorgesetzten immer gelingt, im Einsatz das angemessene Maß an Wagnis zu finden. Denn ist es nicht das, was die Feuerwehr eigentlich tun soll: Risiken ĂŒbernehmen? Wir sind daran gewohnt, uns durch Ausbildung, Taktik, AusrĂŒstung usw. gegen Risiken zu schĂŒtzen, so dass wir oft eigentlich gar keine mehr eingehen mĂŒssten. Aber diese Schutzmaßnahmen haben ihre Grenzen und hinter diesen Grenzen können wir Erfolg nur noch dadurch erzielen, dass wir unsere eigene Gesundheit riskieren. Hoffentlich dann auch fĂŒr ein lohnendes Ziel und nicht, um die Scheune in Vollbrand zu löschen, deren Reste in ein paar Tagen ohnehin abgerissen werden.

Eine schwer verletzte Frau fĂŒnf Stunden in kaltem Wasser liegen zu lassen, um nicht von Vorschriften abweichen zu mĂŒssen, darf bei den vorliegenden UmstĂ€nden jedenfalls keine naheliegende Option fĂŒr die Feuerwehr sein.