Rezension von Michael Steils Gib der Gewalt keine Chance

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„Rettungskräfte tätlich angegriffen“, „Feuerwehr mit Böllern beschossen“, „Feuerwehr mit Steinen beworfen“, … Es sind Schlagzeilen wie diese, die zeigen, dass sich Gewalt längst nicht mehr nur noch gegen Sicherheits- und Ordnungskräfte, sondern gezielt und mutwillig auch gegen (ehrenamtliche) Helfer wendet – und das nicht nur zu Silvester.

Feuerwehrleute erfahren zwar eine breite Ausbildung zur Bekämpfung der Auswirkungen von Bränden und Naturgewalten, zur Rettung von Menschen aus unterschiedlichsten Notsituationen, aber in Bezug auf Gewalt, egal ob verbal oder physisch, gegen sich selbst und Kameraden, gibt es keine Vorbereitung, und das, obwohl die Gefahrenmatrix mit dem Aspekt „Angstreaktion“ durchaus einen Anknüpfungspunkt für die Ausbildung bietet.

Michael Steil will mit seinem Buch „Gib der Gewalt keine Chance“ einen Beitrag zur Steigerung der Handlungskompetenz in Sachen Deeskalation und Möglichkeiten der Prävention und Reaktion bieten.

Steil geht das Thema aus einer erweiterten Perspektive an, indem er zunächst die psychologischen Motive und Ursachen von Aggression und Gewalt analysiert und in den Kontext mit Einsätzen von Rettungsdienst und Feuerwehr stellt. Dabei stellt sich heraus, dass Gewalt nicht eindimensional ist, sondern auch im Verhalten der Einsatzkräfte begründet ist. Das heißt, jede Rettungskraft muss sich selbst des eigenen Verhaltens, der eigenen persönlichen Einstellung und deren Wirkung auf andere bewusst sein, denn, so der Autor, nicht selten trügen gerade Einsatzkräfte mit ihrem Gebaren zur Eskalation bei. Steil richtet also den Fokus gezielt auf die persönliche Wahrnehmung und Einstellung der Einsatzkräfte, die an einer konkreten Einsatzstelle die subjektiv wahrgenommene Realität beeinflussen. Abhilfe schafft neben dem grundsätzlichen professionellen Auftreten, nur die Fähigkeit Empathie zu entwickeln und seine Frustrationstoleranz zu erhöhen.

Beide Seiten – die desjenigen der Gewalt ausübt und die der Einsatzkräfte – beschreibt Steil als Teil der Kommunikation und ihrer Wirkmechanismen. Kommunikation ist dabei vielschichtig und geprägt von verbalen und nonverbalen Signalen, die je nach Situation anders wirken. Aus Sicht der Rettungskräfte bedeutet dies aktives Zuhören und vor allem den Bedürfnisträger ernst zu nehmen, unabhängig von eigenen (Wert-)Vorstellungen. Steil formuliert auf dieser Grundlage Grundbedingungen der Kommunikation für Einsatzkräfte und betont, dass es „keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ gibt. Daneben ist das Erscheinungsbild ein weiterer wichtiger Schlüssel, denn dieses gibt die innere Haltung wieder und kann provozierend wirken. Der Schlüssel zur Deeskalation liegt also bei den Einsatzkräften selbst.

Folgerichtig stellt der Autor die zehn Grundregeln der Deeskalation vor, gibt aber auch eine Übersicht mit Anzeichen drohender Eskalation. Dazu liefert er eine verständliche Begründung. Seine Darlegungen formuliert er in Einsatzgrundsätzen.

Besonders zu erwähnen ist noch, dass sich Steil auch dem Thema der kommunikativen Deeskalation unter Einsatzkräften widmet.

Allerdings muss man auch feststellen, dass das Thema insgesamt eher den Rettungsdienst und die hauptamtlichen Feuerwehrleute betrifft, weil diese durch das Einsatzaufkommen mehr Kontakt mit den Bedürfnisträgern haben. Das heißt nicht, dass das Thema für die ehrenamtlichen Helfer unwichtig ist. Eher das Gegenteil ist der Fall, und hier besonders für die Führungskräfte.

Problematisch bleibt, dass gerade die Feuerwehren in der Chaosphase ihre Kräfte bündeln und schnelle Entscheidungen treffen müsse, was der Empfehlung, möglichst früh und lange auf den Bedürfnisträger einzugehen, entgegensteht.

In diesem Kontext hat sich die Empfehlung, an einer Einsatzstelle klare Einsatzstrukturen als Mittel zur Deeskalation aufzubauen, nicht ganz erschlossen, denn die Feuerwehr arbeitet immer – egal ob ehrenamtlich oder beruflich – nach dem Führungsvorgang, der die Aspekte bedingt, die Steil fordert. Vielleicht steht hinter dieser Empfehlung ein persönliches Erlebnis, dann muss dies auch dargestellt und nicht derart verallgemeinert werden, dass man meinen könnte, die Feuerwehr brauche in dieser Hinsicht Nachhilfe.

Steil kritisiert insbesondere das Auftreten von Helfern und prägt dafür den Begriff „Rettungsrambo-Überlebensgürtel“. Er hat sicherlich recht, dass nicht jedes Utensil notwendig ist, aber der praktische Nutzen, bestimmte Ausrüstungsgegenstände im direkten Zugriff zu haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Etwas Differenzierung hätte an dieser Stelle gut getan, z. B. im Sinne von „guter“ und „böser“ Gürtel. Und einen Handwerkergürtel als Symbolbild an dieser Stelle einzufügen – kein Kommentar.

Sicherlich ist es richtig Maßnahmen und Geräte zur Abwehr darzustellen, dann müssen aber die rechtlichen Grundlagen ausführlicher besprochen und expliziter auf strafrechtliche Konsequenzen hingewiesen werden, denn das Buch erweckt mit seinen (Nicht-)Aussagen Straffreiheit bei abwehrender Gewaltanwendung.

Fazit

cover_steil_gewaltTrotzdem bietet Steil eine übersichtliche und mit optischen Hervorhebungen und Checklisten gespickte Zusammenstellung wichtiger Punkte, die trotz der knappen Darstellung des komplexen Themas, gut und verständlich bleibt. Bereits das erste Lesen des Buches gibt dem Helfer die ersten Werkzeuge zur Bearbeitung des Themas an die Hand. Insbesondere die „theoretischen Grundlagen“ bieten eine ausreichende Quintessenz zur erfolgreichen Konfliktbearbeitung, die auch das eigene Verhalten hinterfragen lässt. Als Vorbereitung, Vertiefung oder parallel zur Fortbildung ist die Lektüre bestens geeignet.

Bibliografische Daten

Michael Steil: Gib der Gewalt keine Chance! So schützen Sie Ihre Kameraden und sich selbst am Einsatzort! Landsberg: ecomed 2015. 140 S.; 24 cm x 17 cm; Softcover; ISBN 978-3-609-69728-4; EUR 29,99.-.

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Verlag ecomed Sicherheit