Eine Kolumne von Stefan Cimander

Zwei Tage vor der Bundestagswahl segnete der Bundesrat eine neue Verordnung[1] der Bundesregierung ab, nach der Autofahrer, die Rettungskräfte behindern, z. B. keine Rettungsgasse bilden oder „freie Bahn schaffen“, mit einem höheren Strafmaß rechnen müssen: bis zu 320 Euro, zwei Punkte im Fahreignungsregister und ein Monat Fahrverbot sieht die neue Regelung vor.[2] Zunächst mag es erfreulich klingen, dass sich der Gesetzgeber derart schnell in die richtige Richtung bewegt, gab es in den vergangenen Monaten doch mehr als genug negative Beispiele, wie es auf Autobahnen nicht laufen sollte.[3]

Wer rechnen kann, der fragt sich allerdings zu Recht, wer denn im Notfall die Blockierer erfassen soll? Die Hilfsorganisation, egal ob polizeilicher oder nicht-polizeilicher Art, sind z. B. bei Unfällen eher damit beschäftigt, Menschenleben zu retten und weitere Schäden abzuwenden – auch auf der Anfahrt. Ich kann jetzt nur von mir ausgehen, aber ich wäre gedanklich eher damit beschäftigt, mir auf Grundlage der Einsatzmeldung nochmals die Taktik durch den Kopf gehen zu lassen bzw. auf Gefahren für das heranrückende Feuerwehrfahrzeug in dieser Stresssituation zu achten, als Kennzeichen zu notieren und mir die passenden Gesichter dazu zu merken. Zeit zum Anhalten und Identifizieren bleibt ohnehin nicht, sodass der Irrtum auch ein entscheidender Faktor bei der Identifikation des Blockierers bleibt. Wer schon einmal versucht aus einem vorbeifahrenden Kraftfahrzeug heraus auf einem stehenden Objekt etwas zu identifizieren, weiß, dass dies abhängig von der Geschwindigkeit und Sichtwinkel mühselig sein kann. Was bei großflächigen (Werbe-)Aufdrucken auf Bussen, Lastkraftwagen oder Pkw noch im Bereich des Möglichen liegt, ist bei der Größe von Kfz-Kennzeichen und Gesichtern eine richtige Herausforderung.

VRW der FF RV

Wiederbelebung des VRW als „Freiräumer“ vor dem Rüstzug?

Nun gibt es verschiedene Lösungen, die geeignet sind, sich des Problems auf effiziente Art und Weise anzunehmen. Da werden Motorräder als Freiräumer vorausgeschickt[4], durchaus könnte man den Vorausrüstwagen wiederbeleben – dann Voraus-Platz-Wagen – und zum Freiräumen voraus fahren lassen. Nur was bringt es, wenn hinter dem Einsatzfahrzeug sogleich erneut blockiert wird? Durchführbar ist dies allein schon wegen des dafür nötigen Personalaufwandes nicht. Das Thema „Gewalt gegen Rettungskräfte“ sparen wir an dieser Stelle besser auch aus, denn zwangsläufig wäre dies auch ein Aspekt, mit dem „Freiräumer“ rechnen müssten.[5]

Immer wieder fällt daher der Begriff der Dashcam, das ist eine kleine, auch in Deutschland immer beliebter werdende Kamera, die auf dem Armaturenbrett oder der Windschutzscheibe angebracht wird. Nehmen wir an, die Beschaffung durch den Träger und die Nachrüstung der Einsatzfahrzeuge stellen das kleinere Problem dar. Maschinist/Fahrer und Fahrzeugführer können sich ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden, denn Blockierer könnten im Nachhinein anhand der Videoaufzeichnung erkannt und durch die objektive Beweisführung der Strafverfolgung zugeführt werden. Problem erkannt und gebannt, mit einfachsten Mitteln. Alle sind glücklich, oder? Nein! Nun ist die Realität ein wenig vielschichtiger und vermeintlich einfache Problemlösungen ziehen einen Rattenschwanz an rechtlichen Fragen nach sich.

Die Benutzung einer Dashcam ist in Deutschland bisher nicht eindeutig vom Gesetzgeber geregelt und damit ist sie nicht automatisch legal. Eine rechtliche, Klarheit schaffende Regelung wird jedoch von verschiedenen Seiten befürwortet.[6] Bisher bewerteten die Gerichte diese Aufnahmen als Beweismittel unterschiedlich: Während die einen Gerichte die Aufzeichnung (in sehr engen Grenzen) zulassen[7], lehnen es andere (grundsätzlich) ab[8]. Allerdings beruhen die bisher ergangenen Entscheidungen immer auf einem konkreten Einzelfall und der Güterabwägung.

Bei den Videoaufnahmen werden generell die Persönlichkeitsrechte berührt, und hier speziell das „informationelle Selbstbestimmungsrecht“, also das Recht, sich frei in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne befürchten zu müssen, ungewollt und anlasslos gefilmt oder fotografiert zu werden („Recht am eigen Bild“). Das Bundesdatenschutzgesetz[9] legt der Videoüberwachung deshalb strikte Restriktionen auf. Für rein persönliche Zwecke, also keiner Veröffentlichung im Sinne des Kunsturhebergesetzes, ist das Filmen in begrenztem Umfang möglich. Selbst die Polizei darf nur in sehr engen Grenzen Videoaufnahmen anfertigen,[10] weil schutzwürdige Datenschutzinteressen höher wiegen.[11]

Body-Cam. Bild: vodafone / CC BY-ND 2.0

Für den Einsatz von Body-Cams bei der Polizei oder anderen Sicherheitsdiensten, z. B. bei der DB Sicherheit[12], gelten die Rechtsvorschriften und die aufgeworfenen Fragen natürlich analog, mit dem Unterschied, dass die Aufzeichnung angekündigt wird (DB Sicherheit) oder der kameratragende Polizeibeamte meist entsprechend gekennzeichnet ist. Die Rechtsgrundlage hierfür muss jeweils im Landesrecht geschaffen werden, da die Polizeigesetzgebung in Deutschland eine Angelegenheit der Länder ist, außer Zoll und Bundespolizei, hier ist der Bund zuständig. Allerdings wirft die Body-Cam auch andere, grundsätzliche Fragen im Gegenüber von Staat/Polizei und Bürger auf,[13] die sich analog auf die Dashcam-Aufzeichnung anwenden lassen.

Aber was bedeutet das für die Einsatzfahrzeuge der Hilfsorganisationen? Sicher, die Polizei könnte je nach Bundesland, schon jetzt – natürlich streng anlassbezogenen – bei der Durchfahrt einer Rettungsgasse entsprechende Aufnahmen anfertigen, nicht-polizeiliche Hilfsorganisationen aber nicht – zumindest nach der gegenwärtigen Rechtsprechung. Grundsätzlich fordert der 54. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2016 eine anlassbezogene Videoaufzeichnung auch in privaten Kraftfahrzeugen zu legalisieren, es müssten nur die technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, hiervon würden auch Feuerwehr, THW und Rettungsdienst partizipieren.

Aber: Nicht unwichtig in diesem Kontext ist, dass es nicht ausreicht, ein Fahrzeug mitsamt Kennzeichen aufzunehmen, sondern auch den Verursacher, die Person selbst zu erfassen – dies ist der Unterschied zur Body-Cam –, denn in Deutschland ist der Halter eines Fahrzeuges im fließenden Verkehr nicht automatisch haftbar für Verstöße im Straßenverkehr, es gilt den Fahrer zu ermitteln, um ein Bußgeld verhängen zu können.[14] Im Falle der Blockierer müsste, da davon auszugehen ist, dass ein Dashcam-Video aufgrund der technisch-physikalischer Restriktionen nicht zur Identifizierung einer Person beiträgt, die polizeiliche Erhebung der Personalien vor Ort erfolgen. Und nun? Alles zurück auf Anfang, denn in der Erstphase ist zu wenig Personal vorhanden und höher priorisierte Aufgaben liegen vor. Mit Anhalten der Einsatzfahrzeuge in dieser Situation erreicht man also nur das Gegenteil.

In hohem Tempo wurde also noch vor der Wahl unter dem Druck der Berichterstattung der Medien eine Verschärfung der Bußgelder durchgedrückt, wohl wissend, dass die Erfassung der Blockierer – die Durchsetzung geltenden Rechts – das Problem ist und die verschärften Strafen in der Praxis mangels Kontrolle eher weniger abschrecken werden.[15] Symbolische Politik nennt dies die Politik- und Medienwissenschaft. Es bedarf demnach des mehr als einmal statuierten Exempels bei Gericht, um erzieherische Effekte zu erzielen. Hierzu braucht es aber die zuverlässige Erfassung der Blockierer und das erfordert weitere Regelungen durch die Bundesregierung zur anlassbezogenen Anfertigung von (Dashcam-)Videos durch die Hilfsorganisationen in Verbindung mit der Einführung einer generellen Halterhafthaftung. Trotzdem bleiben die angedrohten Strafen für europäische Verhältnisse überschaubar – man kann sogar von Schnäppchen reden – , d.h. neben mehr Aufklärung, technischen Hilfsmitteln[16], ist vor allem eine noch stärkere Bestrafung nötig, z.B. wie in der Schweiz, durch Kopplung der Geldstrafe an das monatliche Einkommen. Dann greift auch der erzieherische Effekt stärker. Gefragt sind natürlich auch die Interessenvertretungen von Feuerwehr und den Rettungsdienstorganisationen, um aus einem Stück symbolischer Politik, ein holotisches und in der Praxis funktionierendes Ganzes zu erstellen.

Externe Links:

Dashcam

Body-Cam

Rettungsgasse

Informationen zur Bildung einer Rettungsgasse

 


[1] 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften http://www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2017/0501-0600/0556-17.html;jsessionid=450BDC61A05D093868E153F62DFD2F10.1_cid382?nn=4352768

[2] BMVI: Härtere Strafen für das Blockieren einer Rettungsgasse http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/LA/informationen-rettungsgasse.html Vgl. hierzu auch den die Straftatbestände StGB §114 „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“; StGB §115, Abs. 3 „Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen“ und insbesondere StGB § 323c, Abs.2 „Behinderung von hilfeleistenden Personen“

[3] Besonders Schlagzeilen machen im Juli Vorfälle auf der Autobahn A5 in Achern (Baden-Württemberg) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/achern-feuerwehr-ueber-blockierte-rettungsgasse-und-streit-auf-der-a5-a-1157544.html und der Busunfall nahe Münchberg auf der A9 http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/busunglueck-auf-der-a9-bei-muenchberg-in-bayern-ersatzfahrer-rettete-leben-a-1156971.html

[4] „Weil Autofahrer keine Rettungsgasse bilden: Brandenburger Feuerwehr sieht nur noch eine Möglichkeit“ http://www.huffingtonpost.de/2017/09/03/lehnin-brandenburg-feuerwehr_n_17903464.html

[5] Vgl. Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, beschlossen durch den Deutschen Bundestag am 27. April 2017 (Drucksache 18/11161) https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw17-de-schutz-rettungskraefte/503660

[6] Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichstages (Arbeitskreis VI, Seite 6) https://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_54_vgt.pdf und Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft http://www.gdv.de/2016/01/versicherer-befuerworten-neue-regeln-fuer-den-einsatz-von-dashcams/ sowie die Deutsche Polizeigewerkschaft http://www.sueddeutsche.de/auto/verkehr-black-box-fuers-auto-1.2836736

[7] AG Reutlingen (Az. 7 OWi 28 Js 7406/15), OLG Stutt­gart (Az. 4 Ss 543/15); AG Nürn­berg (Az. 18 C 8938/14); LG Landshut (Az. 12 S 2603/15); AG München (Az. 343 C 4445/13); AG Nienburg (Az. 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14))

[8] AG München (Az. 345 C 5551/14); LG Heilbronn (Az. I 3 S 19/14); AG Ansbach (AN 4 K 13.01634); LG Memmingen (Az. 22 O 1983/13); VG Göttingen (Az. 1 A 170/16)

[9] Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) §6b Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen https://www.gesetze-im-internet.de/bdsg_1990/__6b.html

[10] Die Strafprozessordnung (StPO) § 100 h Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ist laut BVerfG 2 BvR 1447/10 anwendbar

[11] Vgl. hierzu das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur automatisierten Kennzeichenerfassung am 11. März 2008 (BVerfG 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07).

[12] Deutsche Bahn: „Grünes Licht für Bodycams bei der Deutschen Bahn“ http://www.deutschebahn.com/de/zukunftbahn/nachrichten_zuba/14615698/20170629_bodycams.html

[13] Vgl. hierzu Deutschlandfunk: „Bodycam und Strafrechtsänderung“ http://www.deutschlandfunkkultur.de/polizei-ruestet-auf-bodycam-und-strafrechtsaenderung.1001.de.html?dram:article_id=379776

[14] Vgl. Straßenverkehrsgesetz § 7 StVG „Haftung des Halters, Schwarzfahrt“ und §25a StVG „Kostentragungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeugs“, letztere Vorschrift gilt allerdings nur für den ruhenden Verkehr.

[15] Vgl. die Ankündigung der Politik in der Bayrischen Staatszeitung „Rettungsgasse konsequenter kontrollieren“ http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/rettungsgasse-konsequenter-kontrollieren.html

[16] App der Hochschule Landshut „App erinnert an Rettungsgasse“ https://www.haw-landshut.de/aktuelles/news/news-detailansicht/article/app-erinnert-an-rettungsgasse.html